Die Löwin von Aquitanien
gewählt?«
»Ihr wart nicht der Beste«, flüsterte sie, den Blick auf den Boden gesenkt.
Er stand auf. »Komm her und sag das noch einmal«, forderte er sie mit gedehnter Stimme auf.
Jetzt war Alienor eher wütend als ängstlich. Sie ging zu ihrem Großvater, stampfte mit dem Fuß auf und rief: »Ihr wart nicht der Beste!«
Stille herrschte. Dann brach der Herzog in Gelächter aus, hob sie auf und wirbelte sie herum. »Bei unserm Herrn Jesus«, keuchte er, als er wieder zu Atem kam, »das ist meine Enkelin! Du fürchtest dich vor nichts und niemandem, nicht wahr, mein Herz?« Er setzte sie auf dem Tisch ab und griff nach seinem Becher. »Trinken wir auf Alienor von Aquitanien!«
Aenor sah zu, wie die Amme ihre ältere Tochter vorsichtig zu-deckte. Es war ein Wunder, daß Alienor nicht schon auf dem Gang eingeschlafen war, so übermüdet, wie sie sein mußte. Sie lächelte, als sie bemerkte, daß Alienors Daumen den Weg zu ihrem Mund gefunden hatte, eine Angewohnheit, die das Kind eigentlich schon längst aufgegeben hatte, und machte die Amme leise darauf aufmerksam.
Dann ging sie, denn sie war zu ihrer Mutter gerufen worden. Als eine beflissene Kammerfrau Aenors Kommen ankündigte, saß Dangerosa, bereits in ihr Nachtgewand gekleidet, auf einem mit Luchsfellen bezogenen Schemel. Eine weitere Dienerin kämmte ihr langes, silbrig-goldenes Haar, das hier im Süden eine wahrhaft seltene Kostbarkeit war, wie sie auch sonst in bewundernswerter Weise dem Schönheitsideal der Zeit glich: Sie hatte strahlend blaue Augen, eine reine, weiße Haut und die Gestalt eines jungen Mädchens. Niemand, der sie nicht kannte, hätte es für möglich gehalten, daß sie eine Tochter in Aenors Alter hatte, und Aenor vermutete, daß ihre Mutter auch nicht gerne daran erinnert wurde.
Dangerosa begann ohne Einleitung zu sprechen. »Mein Herr war heute sehr gnädig zu deiner Tochter«, sagte sie gleichmütig, »aber täusche dich nicht, er hofft noch immer auf einen männlichen Erben.
Wie ich sehe«, ihr Blick glitt abschätzend von Aenors Gesicht zu ihrer Taille, »erwartest du wieder ein Kind?« Aenors Wangen brannten. Sie fühlte sich erniedrigt und nickte stumm, unfähig, eine andere Antwort zu geben. Ihr war es nie gelungen, in Gegenwart ihrer Mutter anders als scheu und nachgiebig zu sein.
»Nun«, fuhr Dangerosa fort, »vielleicht haben wir Glück, und es wird ein Junge. Damit wären alle Schwierigkeiten beseitigt. Falls nicht, dann würde ich vorschlagen, daß du deinem Gemahl zuredest, damit er sich wieder öfter bei Hofe blicken läßt und sich etwas mehr um die Gunst seines Vaters bemüht. Es gibt hier in Poitiers Mächte, die eine weibliche Herrschaft in Aquitanien ablehnen und ihn be-stürmen, Guillaume zu übergehen und Raymond zum Erben zu machen.«
Aenor fand ihre Stimme wieder. »Raymond würde Guillaume nie verraten - oder Alienor!« stieß sie hervor.
Dangerosa betrachtete ihre Hände. »Seltsam«, bemerkte sie überdrüssig, »daß ich es fertiggebracht habe, eine so naive Tochter auf-zuziehen. Der Junge mag jetzt noch keinen Gedanken daran verschwenden, deinen Gemahl um das Herzogtum zu beneiden, aber er wird erwachsen werden, und erwachsene Menschen sind machthungrig, Aenor.«
»Ganz gewiß trifft das auf Euch zu, Mutter«, erwiderte Aenor bitter, selbst überrascht von der Heftigkeit ihrer Reaktion. Derartiges hatte sie noch nie zuvor gewagt.
Dangerosa warf ihrer Tochter einen erstaunten Blick zu. »Sicher, ich gebe ohne weiteres zu, daß ein Hof unter Herzog Raymond keine Zukunft für mich böte. Er würde in mir immer nur die Rivalin seiner Mutter sehen. Aber was ich dir rate, kann dir nur nutzen, Aenor, und wenn dir etwas an deinem Gemahl und deinen Kindern liegt, hörst du auf mich.«
Aenor holte tief Luft. »Ich weiß nicht warum«, sagte sie leise.
»Ich hatte so sehr gehofft, daß Ihr einmal mit mir über etwas anderes sprechen würdet als über Macht und Pläne. Aber das wäre wohl zuviel verlangt. Gute Nacht, Mutter.«
Alienor war auf der Suche nach Raymond, der an diesem Morgen bei seinem Vater sein mußte, als ihr Freund plötzlich aus einem Gang auftauchte und sie hastig beiseite zog.
»Alienor, was machst du hier? Komm, wir müssen hier schleunigst verschwinden!« Er legte ihr eine Hand auf den Mund. »Pssst.
Vater und Guillaume streiten, hörst du es nicht? Und wenn sie herauskommen und uns hier finden, ist die Hölle los!«
Jetzt hörte Alienor die zornige Stimme ihres Großvaters
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