Die Macht des Lichts
größte Teil der oberen Turmebenen war von den unteren Ebenen abgeschnitten gewesen. Hoffentlich konnten Amyrlin und Saal bald zusammentreten, um eine starke Führung während der Krise zu demonstrieren.
Saerin nahm den nächsten Bericht entgegen, dann runzelte sie die Stirn, nachdem sie ihn gelesen hatte. Von den über sechzig Novizinnen in Egwenes Gruppe waren nur drei gestorben? Und nur eine Schwester von den mehr als vierzig Aes Sedai, die sie um sich geschart hatte? Zehn seanchanische Machtlenkerinnen gefangen, über dreißig Raken vom Himmel geschossen? Beim Licht! Damit verglichen erschienen ihre Bemühungen regelrecht stümperhaft. Und das war die Frau, von der Elaida auch weiterhin darauf beharrte, dass sie nichts weiter als eine Novizin war?
»Saerin Sedai?«, sagte eine Männerstimme.
»Hm?«, fragte sie gedankenverloren.
»Ihr solltet hören, was diese Aufgenommene zu sagen hat.«
Saerin schaute auf und wurde sich bewusst, dass die Stimme Hauptmann Chubain gehörte. Er hatte die Hand auf die Schulter einer jungen Aufgenommenen aus Arafell mit blauen Augen und rundem Gesicht gelegt. Wie war noch einmal ihr Name? Genau, Mair. Das arme Kind sah mitgenommen aus. Ihr Gesicht wies etliche Schnitte auf sowie Abschürfungen, die sicherlich zu blauen Flecken werden würden. Ihr Aufgenommenengewand war am Ärmel und an der Schulter eingerissen.
»Kind?« Saerin entging nicht Chubains besorgte Miene. Was war los?
»Saerin Sedai«, flüsterte das Mädchen, machte einen Knicks und verzog sofort schmerzlich das Gesicht. »Ich …«
»Heraus damit, Kind«, verlangte Saerin. »Das ist nicht die richtige Nacht, um Dinge in die Länge zu ziehen.«
Mair schaute zu Boden. »Es ist die Amyrlin, Saerin Sedai. Elaida Sedai. Ich diente ihr heute Abend, nahm Diktate für sie auf. Und …«
»Und was?« Saerin verspürte ein stetig wachsendes Frösteln.
Das Mädchen fing an zu weinen. »Die ganze Wand stürzte ein, Saerin Sedai. Die Trümmer begruben mich; ich glaube, man hielt mich für tot. Ich konnte nichts tun! Es tut mir leid!«
Das Licht gebe, dass das nicht wahr ist!, dachte Saerin. Sie kann unmöglich sagen, was ich glaube, dass sie sagt. Oder doch?
Elaida erwachte mit einem sehr seltsamen Gefühl. Warum bewegte sich ihr Bett? Es schlängelte sich, wogte. So rhythmisch. Und dieser Wind! Hatte Carlya das Fenster offen gelassen? Wenn j a, würde die Magd Schläge bekommen. Sie war gewarnt worden. Sie war …
Das war nicht ihr Bett. Elaida öffnete die Augen und schaute auf eine Hunderte von Fuß unter ihr liegende dunkle Landschaft. Sie war auf den Rücken einer seltsamen Bestie gefesselt. Sie konnte sich nicht bewegen. Warum konnte sie sich nicht bewegen? Sie griff nach der Quelle, verspürte aber einen plötzlichen scharfen Schmerz, als peitschten unvermittelt tausend Ruten jeden Zoll ihres Körpers.
Benommen griff sie nach oben und berührte den Kragen um ihren Hals. Neben ihr ritt eine dunkle Gestalt auf dem Sattel; das Gesicht der Frau wurde von keiner Laterne erhellt, aber aus einem unerfindlichen Grund konnte Elaida sie fühlen. Eine undeutliche Erinnerung stieg in ihr auf, wie sie an ein Seil gebunden in der Luft gebaumelt und dabei immer wieder das Bewusstsein verloren hatte. Wann hatte man sie nach oben gezogen? Was geschah hier bloß?
Ein Flüstern kam aus der Nacht. »Ich werde diesen kleinen Fehler verzeihen. Du bist solange eine Marath’damane gewesen, da muss man mit schlechten Angewohnheiten rechnen. Aber ohne Erlaubnis wirst du niemals mehr nach der Quelle greifen. Hast du verstanden?«
»Macht mich sofort los!«, brüllte Elaida.
Der Schmerz kehrte zehnfach zurück, seine Intensität ließ Elaida würgen und sich übergeben. Ihr Mageninhalt sprühte über die Seite der Kreatur und regnete auf den tief unter ihr befindlichen Boden.
»Aber, aber«, sagte die Stimme so geduldig wie eine Frau, die mit einem Kleinkind sprach. »Du musst lernen. Dein Name ist Suffa. Und Suffa wird eine gute Damane sein. Ja, das wird sie. Eine sehr, sehr gute Damane.«
Wieder schrie Elaida auf, und dieses Mal hörte sie nicht auf, als der Schmerz kam. Sie schrie in eine gleichgültige Nacht hinein.
KAPITEL 17
Vor dem Stein von Tear
W ir kennen die Namen der Frauen nicht, die sich in Graendals Palast befanden, sagte Lews Therin. Wir können sie nicht zu der Liste hinzufügen.
Rand versuchte den Verrückten zu ignorieren. Was sich als unmöglich erwies. Lews Therin fuhr fort.
Wie sollen wir die Liste
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