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Die Mappe meines Urgrossvaters

Die Mappe meines Urgrossvaters

Titel: Die Mappe meines Urgrossvaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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wie eine eherne Chronik umher; wir Kinder lebten uns hinein, wie in ein verjährtes Bilderbuch, dazu der Großvater die Auslegung wußte, und erzählte, er, der der eigentlichste lebendigste Lebensbeschreiber seines Vaters des Doctors war.
    Wenn er manchen Abend zwischen diesen Denkmalen niedersaß und in dem Buche seiner Jugend nachsann, dessen Zeichen blos tiefe Stirnrunzeln und weiße Haupthaare waren, und von den Thaten und Abenteuern des Doctors erzählte, von seiner Furchtlosigkeit bei Tag und Nacht, in Wald und auf Haiden, wenn er so zu seinen Kranken fuhr - wie er Scherze und Schnurren trieb - wie er Arzneigläser hatte, die roth und blau glänzten, wie Karfunkel und Edelstein - wie er Macht hatte über die Dinge auf der Erde und in der Luft - - und wenn nun das eine und andere Geräthstück, wie es ja noch leibhaftig vor uns stand, anfing in der Geschichte mit zu spielen, bald, weil es in einem bedeutungsvollen Augenblicke in ihm krachte, oder plötzlich ein Glas den Platz wechselte - bald, weil ein Schwerverwundeter darauf ächzte, wie ihm der Doctor den Körper wieder fügte, den ein Waldbaum gänzlich auseinander geschlagen hatte - bald, weil ein unergründlich Geheimniß der Heilkunde darinnen verschlossen gewesen: so ergoß sich eine unsägliche Bedeutung und Zauberei um die veralteten Gestalten; wir getrauten uns kaum hinzusehen, wie alles in hellem Kerzenlichte umher stand, und entschiedene Schatten warf; tief hinten ein Schrank, hoch und dünn, wie Ritterfräulein, die in ein Leibchen gepreßt sind; es war, als stünden Dinge auf ihm, die am Tage gar nicht dort stehen - dann der Arzneischragen, der gleichsam heimlich immer glänzender wurde - der Ahorntisch mit dem eingelegten perlenmutternen Osterlamme - die Uhr mit der Spitzhaube - der lange Lederpolster auf der Bank mit Bärentatzen, die wie lebendige griffen - endlich am Fenster, mit bleichen Tropfen des hereinscheinenden Mondes betupft, das Schreibgerüste, vielfächrig, gothisch, mit einem kostbaren Geländer, auf dem braune Frösche paßten und gleißten, die Schreibplatte überwölbt mit einem hölzernen Baldachine, wie mit einem Herdmantel, darauf oben ein ausgestopfter Balg saß, den man nicht mehr kannte, und den wir jedes Abends fürchteten - und wenn der einzige Hort, der Vater, der auf diese Erzählungen nichts hielt, in der Ofenecke eingeschlummert war, und der Mondenglanz der scharfen, taghellen Winternacht in den Ecken der gefrierenden Fensterscheiben starrte, so wehte ein solches Geisterfieber in der Stube, es hatte selbst die Mutter so ergriffen, und war über die Mägde hinaus gekommen, die gerne in der Küchenstube daneben saßen und spannen, daß, wenn jetzt jemand am äußeren Thore geklopft hätte, es unmöglich gewesen wäre, sich ein Königreich zu verdienen, blos dadurch, daß eines hinaus gehe, und schaue, wer es sei.
    Ich dachte mir damals oft, wie denn ein so unsägliches Gewimmel von überirdischen Dingen und ganz unerhörten Ereignissen in dem Leben eines einzigen Menschen, dieses meines Urgroßvaters, gewesen sein könne, und wie jetzt alles so gewöhnlich und entblößt ist - kein Geist läßt sich mehr sehen oder hören, und wenn der Vater in der Nacht von etwas aufgehalten wird, so sind es schlechte Waldwege gewesen, oder es ist ein Regen eingefallen.
    »Ja wohl,« pflegte die Großmutter zu sagen, wenn auf diese Dinge die Rede kam, »alles nimmt ab, der Vogel in der Luft und der Fisch im Wasser. Wenn sonst in den Losnächten oder Samstag Abends aus den Pfingstgräben oder der Hammerau deutlich ein Weinen oder Rufen gehört wurde, so ist heute in den Gegenden alles stille und ausgestorben, selten, daß einem noch ein Irrlicht begegnet, oder der Wassermann am Ufer sitzt. Die Leute glauben auch heut zu Tage nicht mehr so fest, wie sonst, obwohl die Alten, die dies erzählten, ebenfalls keine Thoren waren, sondern furchtlose aufgeklärte Männer. Wie gerne will die Jugend alles besser wissen, und kömmt doch mit den Jahren immer wieder auf die Reden der Alten, und gesteht es ein, daß sie darauf kömmt.«
    So pflegte meine Großmutter zu sagen, ich aber hörte ihr mit begierig hingerichteten Augen zu, und brauchte gar nicht auf ihre Worte zu kommen; denn ich glaubte ohnehin alles gerne und fest.
    So war es in meiner Kindheit und so flossen die Jahre dahin.
    Die Jahre waren damals sehr, sehr lange, und es verging ungemein viele Zeit, ehe wir ein wenig größer geworden waren.
    Da endlich ich als der Aelteste ziemlich

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