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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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guten Schulabschluss, etwas in der Hand habe, das einem tausend Möglichkeiten eröffne.
    Mein zarter Trizeps begann zu murren. Er redete weiter. Er sagte, dass nur die Ausbildung einen Menschen in die Lage versetze, sein Potenzial maximal auszuschöpfen, ja dass man mit Fug und Recht behaupten könne, ein Mensch vermöge überhaupt erst richtig zu denken, wenn er eine Ausbildung absolviert habe.
    »Das steht schon in der Bibel«, schloss er. »Nimm an die Weisheit, denn sie ist besser als Gold; und Verstand haben ist edler als Silber. Hast du mich gehört?«
    Ich hatte ihn nicht nur gehört, ich glaubte ihm jedes Wort. Es war eine Gehirnwäsche. Ich wurde unverzüglich zu seinem Jünger. Wenn ich von da an sah, wie andere kleine Jungen ihre Zeit und Energie auf dem Fußballfeld vergeudeten, glaubte ich schlicht, dass sie nicht wussten, was ich wusste. Ich verfügte über eine esoterische Erfahrung, die mir etwas Übermenschliches verlieh – so wie Spiderman. Und je höher meine Schulnoten gen Himmel kletterten, desto weiter entfernte ich mich von meinem Freund Alozie, der noch immer nicht den Unterschied zwischen »viel« und »fiel« kannte, und von Kachi, dem Sohn unserer Nachbarn, der Schwierigkeiten hatte, das kleine Einmaleins zu lernen. Meine ganze Schulzeit hindurch war ich in allen Fächern besser als meine Klassenkameraden. Ich schaute kein einziges Mal zurück.
    Mutter klopfte Vater sanft auf den Rücken, bis sein Hustenanfall verging. Dann wechselte sie das Thema.
    »Kingsley, wann hast du dein nächstes Gespräch?«, fragte sie.
    »Im Brief stand nur, dass ich eine Runde weitergekommen bin. Die Einladung kommt separat. Es wird ein Einzelgespräch mit einem der großen Bosse im Hauptbüro. Diesmal kriegt jeder einen eigenen Termin.«
    »Du fährst also noch mal nach Port Harcourt?«, fragte Eugene.
    »Das ist wahrscheinlich bloß noch eine Formalität«, sagte mein Vater. »Am wichtigsten waren die drei ersten Gespräche.«
    »Wenn du jetzt zur Shell gehst«, sagte Charity, »ziehst du dann ganz nach Port Harcourt?«
    Sie hatte Panik in der Stimme. Ich lächelte ihr liebevoll zu.
    »Es ist nicht wichtig, wo ich wohne«, antwortete ich. »Ich werde oft nach Hause kommen, und du kannst auch kommen und mich besuchen.«
    Das schien ihr kein rechter Trost zu sein. Mein Vater musste das ebenfalls bemerkt haben.
    »Charity, gib mir deinen Teller«, sagte er.
    Charity schob ihre Emailleschale mit der Suppe über den Tisch, an Mutter vorbei an seinen Platz. Vater steckte die Gabel in das Stück Fleisch auf seinem Teller und führte sie zum Mund. Er biss mit den Schneidezähnen ein Stück ab und legte die verbliebene Hälfte in die Schale meiner Schwester. Im Gegensatz zu dem, was ich vor mir hatte, war seines ein ordentliches Stück Rindfleisch.
    »Danke, Papa«, sagte sie und zog die Schale wieder zu sich heran.
    Charity war ungefähr acht Wochen vor dem errechneten Termin auf die Welt gekommen. Ich weiß noch, dass wir uns alle freuten, dass sie endlich ein Mädchen war, aber sie sah aus wie ein verschrumpeltes Gerippe und war so winzig, dass sogar gestandene Ärzte sich innerlich drehten und wanden. In der Zeit, als wir fast täglich ins Krankenhaus gingen und sahen, wie sie litt, müssen wir sie alle ganz besonders lieb gewonnen haben. Alle außer Eugene, der ein Jahr jünger war als Godfrey und ein Jahr älter als Charity. Er ließ keine Gelegenheit ungenutzt und machte sie ständig zur Zielscheibe seiner dummen Streiche.
    »Ah!«, rief er jetzt. »Guck dir deine Achselhöhlen an! Sie sehen aus wie Gorillaschenkel!«
    Alle wandten sich Charity zu. Sie presste die Arme fest an ihren Körper und machte ein Gesicht, als wollte sie gerade die Kontrollknöpfe einer Zeitmaschine drücken und verschwinden. Mutter machte vor Schreck große Augen.
    »Warum kannst du dir deine Achselhöhlen nicht regelmäßig rasieren?«, fragte sie. »Weißt du denn nicht, dass du jetzt ein großes Mädchen bist?«
    Über Charitys Gesicht fiel ein Schatten. Mit ihren fünfzehneinhalb war sie noch immer ein ziemliches Baby. Sie hatte bei Prinzessin Dianas Tod geweint und bei einer Dokumentarsendung über Leute geschluchzt, deren Körper durch Elefantiasis unmenschlich vergrößert waren. Als andere Nigerianer in Massen auf die Straße gerannt waren, um den plötzlichen Tod von General Sani Abacha zu feiern, hatte Charity drinnen gesessen und Tränen vergossen.
    »Gibt es ein Gesetz, das sie verpflichtet, sich zu rasieren?«, mischte

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