Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
1. Kapitel
M EIN H ERZ IST IMMER BEI DIR …
›Liebste Magdalena! Es ist Weihnachten! Das Fest der Liebe und des Friedens. Auch wenn wir heute nicht zusammen sein können, so sollst Du doch wissen: Mein Herz ist immer bei Dir …‹
Der Bleistift entglitt den frostklammen Fingern des jungen Soldaten und verschwand in den Falten seines wattierten Schlafsacks.
»Verdammt«, entfuhr es ihm. Wie sollte er Magdalena schreiben – wenn dreißig Grad unter Null am Tag und nahezu fünfzig in der Nacht es nahezu unmöglich machten, etwas zu Papier zu bringen? Die Kälte kroch einem mit lähmender Stetigkeit in die Knochen, ob man wollte oder nicht!
Paul tastete im Halbdunkel auf dem rauen Bezug der Feldpritsche herum, bis er den Stift gefunden hatte. Dann schlüpfte er wieder bis zum Hals unter die Decken, ließ nur der Hand Raum und fuhr fort:
›Ich denke an Dich und daran, wie Du dieses Fest wohl feiern wirst. Bei uns war es diesmal kein Abend wie jeder andere. Unser Chef, Fliegergeneral Wolfram von Richthofen, hat mit uns Landsern nach Tisch noch eine Zigarette geraucht und sich auch nach unseren Sorgen und Nöten erkundigt. Kannst Du Dir vorstellen, dass wir hier, mitten im Krieg in der russischen Einöde, unter einem geschmückten Baum Weihnachtslieder angestimmt und aus voller Kehle mitgesungen haben? Auch sonst konnten wir uns nicht beklagen, es gab doppelte Verpflegung und eine Tafel Schokolade obendrauf. Wenn Du wüsstest, wie ich diese lang entbehrte Leckerei genossen habe! Aber das Süßeste für mich bist immer noch Du, meine Liebste! Jeden Tag betrachte ich Dein Bild und frage mich, wann wir uns endlich wieder sehen. Meine Sehnsucht wird mit jedem Tag größer, an dem wir getrennt sind. In Deinen Augen sah ich beim Abschied …‹
Wieder ein unterdrückter Fluch. Der Stift war abgebrochen und seine Hand so taub und erfroren, dass er ihn kaum mehr halten konnte.
»Mensch Hofmann, gib endlich Ruhe und mach das Licht aus!«, brummte eine schläfrige Stimme neben ihm.
»Schon gut, schon gut!« Hastig blies Paul die Flamme der Kerze aus, die er verbotenerweise an seinem Lager entzündet hatte und die ihm eine Wärme vorspiegelte, die es in dieser kristallkalten Nacht hier draußen in Russland nirgendwo zu geben schien.
Er bewegte die Finger hin und her, steckte dann den Brief in die Provianttasche und glitt mit einem Seufzer tiefer in den Schlafsack. Morgen würde er weiterschreiben, aufs Neue den Moment genießen, in dem seine Gedanken nur bei ihr waren. Er zog die Kappe tief ins Gesicht und legte den Kopf zurück. Seine Lider sanken schläfrig herab, aber er fror so erbärmlich, dass er nur leicht dahindämmerte. Auch wenn er es sich manchmal nicht eingestehen wollte: An solchen Abenden kam zu seiner Sehnsucht nach Magdalena auch das Heimweh, das an seinem Herzen nagte: Nach Königsberg, nach seiner Mutter, die, nachdem sein Vater gestorben war, mit dem Papiergroßhandel ganz auf sich gestellt war und die vielleicht jetzt gemeinsam mit seiner Schwester Christine Weihnachten feierte. Ungebetene Tränen stiegen ihm in die Augen. Er schluckte sie hinunter, in der Hoffnung, dass bald alles vorbei war – der Führer hatte ihnen ja versprochen, dass sie nach einem Blitzsieg bald nach Hause zurückkehren konnten!
Auch wenn Magdalena und ihre Kommilitonen Hitler misstrauten und seinen Visionen kritisch gegenüberstanden – er war davon überzeugt. Die Fakten sprachen schließlich dafür. Und hier, im Richthofenschen Jagdgeschwader setzte jeder ohne Ausnahme voller Stolz und Eifer sein Leben für das Vaterland ein!
Sich auf die andere Seite drehend, zog er den Schlafsack noch höher hinauf. Er war erschöpft, aber zu erregt, um Schlaf zu finden; der ungewohnte Weingenuss, die Kälte und das laute Schnarchen der anderen Kameraden hielten ihn wach. Er stellte sich Magdalena vor, wie sie jetzt zu Hause im Kreis ihrer Lieben um den Weihnachtsbaum saß, der bei den von Waldens jedes Jahr bis zur Decke reichte. Sicher servierte das Hausmädchen gerade das Weihnachtsmenü, das, wie Magdalena einmal berichtet hatte, traditionell aus einem mit Zwetschgen gefüllten Gänsebraten und Knödeln bestand. Ob sie jetzt wohl auch genauso sehnsüchtig an ihn dachte, wie er an sie? Oder ob sie ihn schon längst vergessen hatte? Schon in den ersten Tagen der Trennung, als er endgültig eingezogen wurde, hatte er schmerzlich gespürt, wie sehr sie ihm fehlte, und jetzt wurde seine Sehnsucht nach ihr immer stärker.
Seine
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