Die Muse des Mörders (German Edition)
Plastiktüten aus der Innentasche seiner Jacke, um sich dem Kästchen zu widmen. Madeleines Blick richtete sich unwillkürlich auf die Schatulle, die auf dem Tisch stand. Der Polizist bedeckte seine Hand mit einer der Plastiktüten und ließ den Deckel aufspringen. Der Brief befand sich wieder darin, doch etwas anderes, wie Madeleine jetzt auffiel, fehlte. Die Schlitze, in denen die Ohrringe gesteckt hatten, waren leer.
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, dann erblickte sie Lucy und sah, wie diese errötete und nervös auf ihrer Unterlippe kaute. Madeleine spürte, wie sich Verärgerung in ihr breitmachte. Obwohl Lucy verlegen wirkte, war, als das Collier nun sichtbar auf dem Tisch funkelte, auch Gier in ihren Augen zu sehen. Dieselbe Gier, die sie ganz offensichtlich dazu gebracht hatte, die kostbaren Ohrringe zu stehlen, denn außer ihr und Madeleine war niemand im Haus gewesen, seit Georg gegangen war.
Greve schien ihren Blick zu bemerken, ihn jedoch falsch zu deuten.
»Falls Sie die finanziellen Möglichkeiten haben …« Er sah sich um. »… wovon ich ausgehe, sollten Sie vielleicht die Stadt verlassen. Irgendwo ausgiebig Ferien machen.« Der Polizist schloss das Kästchen und ließ es vorsichtig in eine Plastiktüte gleiten. Madeleine machte innerlich drei Kreuze, dass sie am Telefon nichts Genaueres über den Schmuck gesagt hatte. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin zu alt, um Ferien zu machen. Außerdem glaube ich, dass es nicht richtig wäre, jetzt die Stadt zu verlassen.«
»Wie kommen Sie darauf?« Greve sah sie misstrauisch an.
Madeleine wusste es nicht. So, wie sie seit Tagen das Gefühl hatte, dass irgendetwas faul war, hatte sie jetzt den Eindruck, dass sie bleiben sollte.
»Es ist nur so ein Gefühl.«
Greve leerte seinen Kaffee und stand auf.
»Lassen Sie mich raten, und Sie sind zu alt, um nicht auf Ihr Gefühl zu hören.«
»Ja, vielleicht ist es genau das.«
Der Inspektor musterte sie nachdenklich, dann nahm er das verpackte Kästchen vom Tisch und wandte sich zur Tür. Madeleine sah, wie Lucy für einen Moment erleichtert die Augen schloss.
»Sie finden allein hinaus?«
Greve blickte noch einmal zu ihr zurück, dann nickte er und verließ das Wohnzimmer.
»Rufen Sie mich an.« Damit ging er.
Madeleine wartete, bis unten die Tür ins Schloss fiel, dann drehte sie sich zu Lucy um.
»Kannst du mir verraten, was du dir dabei gedacht hast?«
Lucy atmete tief durch und es kostete sie sichtlich Überwindung, Madeleine in die Augen zu blicken.
»Ich konnte nicht anders. Sie sind einfach so schön.«
»Sie sind ein Beweisstück in einem Kriminalfall, Lucy. Du kannst sie dir doch nicht einfach nehmen.«
Lucy zuckte mit den Schultern und starrte auf die Tischplatte, dorthin, wo eben noch das Kästchen gestanden hatte.
»Bitte, Madeleine. An der Kette sind doch bestimmt genug Fingerabdrücke.«
Madeleine schaute ihr Hausmädchen ungläubig an.
»Bittest du mich gerade tatsächlich darum, dass du sie behalten kannst?« Sie erkannte Lucy kaum wieder.
Diese schluckte hart und schüttelte unbehaglich den Kopf.
»Bei der Polizei verrotten sie doch nur in der Asservatenkammer. Ich weiß sie wenigstens zu schätzen.«
Madeleine wurde kalt. Sie glaubte, dass sie die wahre Wirkung der allzu perfekten Schmuckstücke in diesem Moment ein Stück weit erkannte. Diese Juwelen waren nicht einfach nur schön, sondern sie konnten süchtig machen. Für Menschen wie Lucy waren sie anscheinend eine regelrechte Gefahr.
»Du weißt, unter welcher Bedingung ich dich damals aufgenommen habe. Keine krummen Dinger mehr.«
Schnell sah Lucy auf und ein erschrockener Ausdruck trat in ihre Augen.
»Du wirfst mich doch deswegen nicht raus, oder?«
»Zumindest würde ich dich nicht besonders gerne rauswerfen. Also gib mir bitte die Ohrringe.«
Hastig stand die junge Frau auf und verließ das Zimmer. Glücklicherweise war ihr Leben hier wichtiger für sie als der gestohlene Schmuck. Zwar hatte Madeleine nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, sie zu entlassen oder gar anzuzeigen, denn Lucy war vorbestraft und ein weiteres Verfahren würde wohl unschön enden, doch sie wusste, dass Druck manchmal das einzig brauchbare Mittel war.
Obwohl Lucy nun tat, was sie verlangte, war Madeleine trotzdem beunruhigt von ihrem Verhalten und wusste außerdem nicht, was sie jetzt tun sollte. Greve anrufen und ihm die Ohrringe nachreichen konnte sie schlecht, denn dafür hatte sie keine plausible
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