Die Muse des Mörders (German Edition)
wussten, war auch den ersten beiden Opfern Schmuck entwendet worden. Jeremia Novaks Eltern hatten das Fehlen einer Halskette bestätigt, die der Junge zu seinem letzten Geburtstag von seiner Freundin bekommen hatte. Der getötete Direktor hatte einen auffälligen Ring besessen, eine Art Markenzeichen, von dem seine Bekannten auf gezielte Nachfrage hin erzählt hatten. Bisher waren alle gestohlenen Stücke mehr als tausend Euro wert gewesen. Sollte es sich hierbei um einen Ausrutscher handeln? Dominik ließ sich an der Tür in die Hocke sinken und wollte sich gerade eingestehen, dass er so nicht weiterkam, als er aus dem Augenwinkel etwas Glitzerndes unterhalb der großen weißen Wanne wahrnahm. Auf allen Vieren kroch er vorwärts und streckte die Hand unter die Badewanne. Zuerst ertastete er nur Staubflocken und glaubte schon, sich geirrt zu haben, doch dann bekam er etwas zu fassen und zog es hervor. In seiner Hand befand sich eine Kette, die einmal golden gewesen sein musste. Vorsichtig pustete er den Staub herunter und betrachtete die dünnen, verbogenen Glieder. Eindeutig Modeschmuck. Der Verschluss war kaputt, als hätte jemand mit aller Kraft an der Kette gerissen.
Natürlich! Dominik sprang auf und zog sein Handy aus der Tasche, um sein Team zu benachrichtigen. Es musste dem Mörder um den Anhänger gegangen sein und er konnte sich auch schon denken, welcher Goldschmied diesen Anhänger hergestellt hatte.
48.
Als Kardos schließlich in Neustift auftauchte, hatten sie bereits gegessen. Er war nicht sonderlich begeistert vom Anruf der Polizistengattin gewesen, doch als sie Madeleines Anwesenheit erwähnt hatte, hatte er sich bereiterklärt, vorbeizukommen. Wegen ihres Alters und ihres mit den Jahren aufgebauten Ansehens fiel es den Menschen schwer, ihr einen Gefallen abzuschlagen.
Der Schmied folgte Judith in den Wintergarten und wirkte so gar nicht wie der blasierte Wichtigtuer, als den sie ihn beschrieben hatte. Auch wenn Judith ihm gegenüber reserviert blieb, nahm er lächelnd Madeleines Hand und stellte sich artig vor.
»René Kardos. Ich bin Goldschmied.«
»Ja, ich hörte davon.«
»Setzen Sie sich doch, Herr Kardos.« Judith wies auf einen Stuhl Madeleine gegenüber und setzte sich dann zwischen die beiden. Am Ringfinger trug sie nun einen Ring mit einem blauen Stein. Trotz ihrer getrübten Stimmung musste Madeleine schmunzeln. Scheinbar wollte Judith dem Schmied demonstrieren, was sein Werk hätte sein können.
Kardos nahm Platz und verneinte, als Judith ihm etwas zu trinken anbot. Stattdessen blickte er Madeleine auffordernd an.
»Sie wollten mit mir sprechen? Möchten Sie etwas in Auftrag geben?«
»Ach, ich bitte Sie. Nach allem, was ich gehört habe, ist Ihr Schmuck viel zu kostbar für meinen betagten Hals.«
»Wirklich guter Schmuck trägt die innere Schönheit nach außen.«
Madeleine staunte über die Redegewandtheit des Mannes und ihr entging nicht, wie Judith beleidigt den Mund verzog.
»Da haben Sie ja eine sehr interessante Auffassung. Wie viele Jahre Berufserfahrung sind nötig, um zu diesem Schluss zu kommen?«
Kardos der, wie Madeleine auffiel, überhaupt keinen Schmuck trug, lachte kurz und musterte seine Hände, die er auf dem Tisch gefaltet hatte.
»Ich habe nie etwas anderes gemacht.« Er schaute auf. »Ich will nicht hetzen, aber ich werde noch im Laden gebraucht. Was, wenn nicht ein Auftrag, ist denn Ihr Anliegen?« Er lächelte sie an.
Madeleine holte tief Luft und berichtete ihm so kurz und knapp wie möglich von den Geschehnissen der vorletzten Nacht. Sie wusste nicht, ob es Greve gutheißen würde, dass sie damit hausieren ging, doch immerhin hatte er es ihr nicht verboten. Außerdem gefiel ihr die Vorgehensweise der Polizei nicht. Rätsel, die Menschen betrafen, waren am besten zu lösen, indem man mit Menschen sprach. Im Gegensatz zu Greve hatte sie den Vorteil, sich nicht an irgendwelche Paragrafen halten zu müssen.
Der Goldschmied hörte die ganze Zeit über aufmerksam zu, wobei er abwechselnd Madeleine, seine Hände und den leuchtenden Saphir an Judiths Finger begutachtete. Als sie fertig war, versicherte er ihr aufrichtig, wie leid ihm das alles täte.
»Jemand wie Sie sollte mit solchen Dingen nicht belästigt werden.«
Wieder musste sie schmunzeln. Jemand wie Sie. Anscheinend hoffte er, ihr doch noch etwas verkaufen zu können. Madeleine zog abermals den Plastikbeutel mit den Ohrringen hervor.
»Haben Sie diese Ohrringe
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