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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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arbeitete sich von den Seitenflächen nach innen und von unten herauf. In erstaunlicher Geschwindigkeit, die dem großzügig ausgelegten Arbeitsspeicher des Computers zu verdanken war, unterbreitete mir FANTANIMA die absurdesten Bildkompositionen aus verschiedenen Bausteinen der Pyramide, tauschte Köpfe gegen Fenster aus, Körper gegen Bäume, verschmolz Flugzeuge mit menschlichen Gliedmaßen, versetzte Lastwagen unter die Sterne, halbierte Menschen der Länge nach und setzte sie seitenverkehrt zusammen, blähte Hausfassaden wie Kaugummiblasen auf und ließ sie platzen, kreierte nie gesehene Tiere, deren Hinterleib mal aus Kirchenglocken, mal aus Fernsehapparaten bestand, und arbeitete, je mehr Angebote ich bestätigte, immer eifriger neue Verwirrungen aus. Ich wusste, dass dieses Programm zur Zufriedenheit der Benutzer mit einem Steigerungskoeffizienten versehen war. Je häufiger man seine Bildofferten annahm, also gleichsam kaufte, um so mehr bemühte es sich, noch verrücktere Kompilationen zu erfinden. Nichts wäre schlimmer gewesen, als den Käufer zu langweilen. Es war weit von den Jedermannprogrammen entfernt, die niedere Multimediabedürfnisse bedienten. Es war ein Programm für Alphas, und es hatte im Prinzip keine Phantasiegrenzen. Schon gar nicht, wenn man es mit so reichhaltigem Material wie dem der Pyramide versorgte. Ich kam mit meinen Bestätigungen der Vorschläge kaum nach. Langsam geriet die Statik des Bauwerkes außer Kontrolle. Da die meisten Bausteine zuvor in einem logischen inhaltlichen Verhältnis aufeinander bezogen waren und daraus ihre Platzdefinition in der Anordnung erhielten, ging ihnen, wenn dieses Verhältnis gestört, aufgehoben oder umgekehrt wurde, die Information darüber verloren, an welche Stelle sie gehörten. Sie lagerten sich frei auf der Monitorfläche ab, die bald Ähnlichkeit mit einem Steinbruch hatte. Endlich war die Mitte frei. Einen Moment lang hielt sich das Dokument EGO , in dem Reeper selbst lebte, an der Stelle, an der es zuvor, eingebettet und gestützt von den anderen Dokumenten, geruht hatte. Über ihm hing der Spitzenstein des einstigen Bauwerks gleichsam in der Luft – ein Dokument, das zu meinem Entsetzen meinen Namen trug. Ich hatte den Baustein HEINRICH nie zuvor gesehen. EGO glitt auf der blauen Monitorfläche nach unten und ruhte auf dem ungeordneten Haufen der übrigen Steine, deren Rahmenkonturen sich vielfältig überlagerten und aus denen noch immer kleine Bildsegmente wie Luftblasen in die Angebotsleiste des FANTANIMA -Programms aufstiegen und sich dort in den eingespiegelten Bildfeldern neu zusammenfügten. Dann rutschte das Dokument HEINRICH nach. Ich aktivierte die FANTANIMA -Sperre, und das Programm beendete seine Vorschläge. Die ganze Zeit hatte ich darauf gewartet, dass das System sich gegen die Zerschlagung der Pyramide sträuben würde. Aber es hatte geduldig all die ungeheuren Veränderungen hingenommen. Offenbar hatte der Antimago es nicht zugleich schützen und für seine eigenen Manipulationen offen halten können. Nur er selbst war geschützt, vom logischen Aufbau der Pyramide, in der er sich sicher gefühlt hatte wie die Pharaonen in ihren Gräbern … Nun lag sein EGO offen. Ich schloss das Bildbearbeitungsprogramm, beantwortete die Anfrage ÄNDERUNGEN SPEICHERN? positiv und wartete auf Widerspruch. Aber nichts geschah. Das System hatte die von mir vorgenommenen Veränderungen gelernt und integriert. Der Rest schien mir lächerlich einfach zu sein. Ich würde Reeper öffnen und ihn löschen. Ihn für alle Zeit beseitigen. Was immer auch damit für mich verbunden sein würde; und obwohl ich seine Idee, die Wirklichkeit vor ihrer Abbildung zu bewahren, im Prinzip für richtig oder wenigstens für nicht ganz falsch hielt (und bis heute halte). Ach ja, lieber Freund, wir könnten jetzt endlos diskutieren über den ewigen Konflikt zwischen den schönen Gedanken und den schrecklichen Methoden ihrer Verwirklichung … Und darüber, ob es angesichts der Verwirklichungsgeschichte der Ideen nicht besser wäre, künftig auf Gedanken überhaupt zu verzichten … Und ob das ganze Unheil der Menschheit nicht im Grunde den Utopien und Religionen entspringt, etc. etc. … Ob nicht besser gewesen wäre, Kain hätte Abel nicht erschlagen, ob die Sesshaftigkeit das Übel, Nomadentum die Gnade … Und alle Philosophie wiederkäuen … Und die Irrtümer preisen … Und die Seuchen verherrlichen … Und die Opfergänge zum Übel erklären … Aber ich

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