Bodyheater
Man konnte wohl zurecht von Kälte sprechen, wenn das Kondenswasser des eigenen Atems an der Fensterscheibe zu Eis gefror. Passierte dies zudem an der Innenseite der eigenen Wohnung, fand Joana den Fluch: „Verdammt, es ist echt arschkalt!“, durchaus angebracht. Ihre religiöse Mutter wäre anderer Meinung gewesen und ihr Vater hätte seine Augenbrauen besorgt erhoben, aber das war ihr derzeit völlig egal.
Die Wut in ihrem Bauch glühte heiß, war allerdings nicht dazu geeignet, ihren Körper zu erwärmen.
Als sie am Freitagnachmittag von der Uni heimgekommen war, hatte sie sich auf eine warme Tasse Tee und ein paar gemütliche Stunden mit einem guten Buch gefreut. Stattdessen empfingen sie eisige Temperaturen in der kleinen Wohnung des Hamburger Mehrfamilienhauses.
Den ganzen Winter über hatte es schon Probleme mit der Heizung in ihrer Dachwohnung gegeben, die ihr Vermieter mehr schlecht als recht beseitigt hatte. Nun hatte die altersschwache Heizung offensichtlich ganz den Geist aufgegeben.
Niemand hatte damit rechnen können, dass es im März, mit Vogelgezwitscher in der Luft und Krokussen, die in den zaghaften Sonnenstrahlen ihre Blüten öffnen wollten, noch einmal richtig Winter, mit Schnee und Eis und zweistelligen Minusgraden, wurde.
In den zwei Jahren, die Joana in Hamburg lebte und studierte, hatte sich Hamburg eher durch hohe Niederschläge und grauen Himmel ausgezeichnet. Dabei war sie froh gewesen, als sie vor vier Monaten die günstige Wohnung in dem Altbau bekommen hatte. Endlich konnte sie raus aus der vorigen dunklen Wohnung mit den schimmeligen Wänden, in der sie es fast ein Jahr lang ausgehalten hatte.
In dem Mehrfamilienhaus in Winterhude lebten außer ihr noch drei andere Mietparteien. Zum Glück gab es derzeit keine Kinder, die mit ihrem Geschrei das Treppenhaus erfüllten, oder Hunde, die den ganzen Tag in Dauerschleife bellten. Der Flur stank nie nach Alkohol oder Exkrementen, denn zum einen waren alle Mieter umgängliche, freundliche Menschen und zum anderen ordentlich und pflichtbewusst genug, ihren Reinigungsdiensten nachzukommen.
Direkt unter ihr lebte ein alter Mann, dessen Frau vor einem Monat ins Altersheim umgezogen war, da ihn ihre Pflege überforderte. Er war ein netter, etwas seniler Mann, dem sie oft bei kleinen Dingen half, die ihm nicht mehr so leicht von der Hand gingen.
Ihm gegenüber wohnte ein junges Pärchen, die gerade geheiratet hatten und aktuell in ihren Flitterwochen waren. Neben ihr, unter dem Dach, wohnten zwei junge Männer.
Joana hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass die beiden ebenfalls ein Paar waren. Der jüngere der beiden, ein gebürtiger Engländer namens James, arbeitete von Zuhause aus und entwickelte Software. Sein Freund Ralf war hingegen öfter unterwegs und im Außendienst einer großen Firma tätig.
Die beiden waren nicht nur im Aussehen sehr unterschiedlich. Während der hoch aufgeschossene James mit dem Lausbubengrinsen, hellbraunen kurzen Haaren und hellgrünen Augen hinter seiner randlosen Brille, eher wie der typische Student aussah, war Ralf größer, breitschultriger und wirkte sehr durchtrainiert. Dunkelbraune, kurze Haare und ebenso dunkelbraune Augen zeichneten ihn aus. Sein Gesicht war kantig und er trug oft einen unglaublich sexy wirkenden Drei-Tage-Bart.
Er war sehr wortkarg, lächelte eher selten und es war ganz klar, wer bei den beiden den Ton angab.
Joana lächelte vor sich hin und schob ihre Brille, die sie beim Arbeiten am Bildschirm trug, auf der kurzen Stupsnase höher. Seufzend warf sie ihren geflochtenen, dunkelbraunen Zopf zurück.
Mehr als einmal hatte sie bedauert, dass das Interesse der beiden Männer nur einander galt, denn jeder von ihnen war auf seine Weise sehr attraktiv.
James flache Brust ging in lange und dennoch gut bemuskelte Arme über. Am linken Unterarm trug er das Tattoo einer Rose, deren Stiel sich zwischen den Fingern verlor. Er war sportlich und ging regelmäßig laufen. Oft brachte er ihr dabei am Samstag Brötchen mit und zwinkerte ihr dann beim Überreichen zu. „So pflegt man eben gute Nachbarschaft“, erklärte er dazu und hätte sie nicht gewusst, dass er schwul war, hätte sie es durchaus als Flirten angesehen.
Joana konnte sich nicht helfen, aber sie fand ihn nicht nur nett, sondern durchaus begehrenswert. Aber er war verbotene Frucht und zudem unerreichbar.
Leider, denn James war nicht nur ein hilfsbereiter Nachbar, sie verband mittlerweile sogar eine sehr gute
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