Die Nebel von Avalon
Uther nicht in seiner Nähe sein. Aber bedenke, Kind, Tintagel ist eine große Burg. Glaubst du, Uther Pendragon wird lange zögern, zu einem seiner Feldherren zu sagen:
›Nimm dir die Burg und die Frau!‹,
wenn kein Gorlois mehr da ist, um Tintagel zu halten? Du nimmst besser Uther als einen seiner Männer.«
Morgaine… was soll aus meinem Kind werden und aus Morgause, meiner kleinen Schwester? Jede Frau, die einen Mann hat, muß darum beten, daß er am Leben bleibt, um sie zu beschützen,
dachte Igraine. »Kann ich denn nicht zur Heiligen Insel zurückkehren und mein Leben dort als Priesterin beenden?«
»Dazu bist du nicht bestimmt, Kleines«, erwiderte Viviane, und ihre Stimme klang wieder zärtlich. »Du kannst dich vor deinem Schicksal nicht verstecken. Dir ist es aufgegeben, an der Rettung dieses Landes mitzuwirken. Der Weg nach Avalon ist dir für immer verschlossen. Willst du aus freiem Willen die Straße deines Schicksals gehen, oder müssen die Götter dich dazu zwingen?« Viviane wartete Igraines Antwort nicht ab. »Es wird nicht lange dauern, bis Ambrosius Aurelianus stirbt. Er hat die Briten viele Jahre lang geführt, und jetzt werden seine Herzöge sich treffen, um einen neuen Großkönig zu wählen. Außer Uther gibt es niemanden, dem sie alle vertrauen. Deshalb muß Uther beides sein: Feldherr und Großkönig… und er wird einen Sohn brauchen.«
Igraine hatte das Gefühl, als schließe sich eine Falle um sie. »Weshalb übernimmst du die Rolle nicht selbst, wenn dir an all dem soviel liegt? »Weshalb versuchst du nicht, Uther mit Zauberkünsten in deinen Bann zu ziehen, um den künftigen König selbst zu gebären, wenn du als Gemahlin des Feldherrn und Großkönigs von Britannien soviel Macht gewinnen kannst?«
Zu ihrer Überraschung zögerte Viviane lange, ehe sie antwortete: »Glaubst du, ich hätte nicht daran gedacht? Aber du hast vergessen, wie alt ich bin, Igraine. Ich bin älter als Uther, und für einen Krieger ist er nicht mehr jung. Ich war sechsundzwanzig, als Morgause geboren wurde. Ich bin neununddreißig, Igraine, und über das Alter hinaus, in dem eine Frau noch ein Kind bekommt.«
In dem Bronzespiegel, den Igraine noch immer in der Hand hielt, sah sie das verzerrte und verunstaltete Spiegelbild ihrer Schwester. Das Bild bewegte sich wie Wasser, wurde plötzlich klar, dann verschwommen und schließlich verschwand es. Igraine sagte: »Glaubst du? Aber ich sage dir, daß du noch ein Kind gebären wirst.«
»Ich hoffe nicht«, antwortete Viviane, »ich bin älter als unsere Mutter war, die bei Morgauses Geburt den Tod fand. Ich könnte nicht erwarten, ihrem Schicksal zu entgehen. In diesem Jahr werde ich zum letzten Mal an den Beltaneriten teilnehmen. Danach werde ich mein Amt einer jüngeren Frau übertragen, und ich werde die Alte sein… die weise Frau. Ich hatte gehofft, eines Tages Morgause den Platz der Göttin zu überlassen…«
»Weshalb hast du sie dann nicht in Avalon behalten und zur Priesterin, zu deiner Nachfolgerin ausgebildet?«
Viviane wurde sehr traurig. »Sie ist ungeeignet. Sie sieht im Mantel der Göttin nur Macht, nicht die Opfer und Leiden, die kein Ende nehmen. Deshalb ist es kein Weg für sie.«
»Mir scheint nicht, daß du gelitten hast«, entgegnete Igraine.
»Du weißt nichts davon. Auch du hast dich nicht für diesen Weg entschieden. Ich habe ihm mein Leben geweiht und behaupte, es wäre einfacher, das Leben einer Bäuerin zu führen… eines Lasttiers oder einer trächtigen Stute. Du siehst mich geschmückt und gekrönt als die Göttin in all ihrer Herrlichkeit neben dem Kessel. Du siehst nicht die Dunkelheit der Höhle oder die Tiefen des großen Meeres… dazu bist du nicht berufen, mein liebes Kind. Und du solltest der Göttin danken, daß dein Schicksal in anderen Bahnen verläuft.«
Igraine dachte:
Glaubst du, ich habe nach vier Jahren nicht gelernt zu leiden und schweigend zu erdulden?
Aber sie sprach es nicht aus. Viviane hatte sich über Morgaine gebeugt und streichelte dem Kind zärtlich lächelnd über die dunklen, seidigen Haare. »O Igraine, du weißt nicht, wie ich dich beneide… mein ganzes Leben lang habe ich mich nach einer Tochter gesehnt. Die Göttin weiß, Morgause war für mich wie mein eigenes Kind. Aber sie war mir immer fremd, als sei sie von einer Fremden geboren und nicht von meiner Mutter… ich sehnte mich nach einer Tochter, in deren Hände ich mein Amt legen würde.« Sie seufzte. »Aber ich bekam nur ein Mädchen,
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