Die Nebel von Avalon
dir, Igraine, von diesem Schwur abzulassen, damit du nicht für immer mit einem Meineid beladen bist!«
»Und weshalb glaubst du, würde ich meinen Eid nicht halten?« fragte Igraine zornig, »ich habe gelernt, die Wahrheit zu ehren! Auch ich bin ein Kind der Heiligen Insel, Viviane! Du magst meine ältere Schwester sein, meine Priesterin und die Herrin von Avalon, aber du wirst mich nicht behandeln, als sei ich ein plapperndes Kind wie Morgaine auf deinen Knien. Sie versteht kein Wort von dem, was man ihr sagt und weiß nichts von der Bedeutung eines Schwurs…«
Morgaine hörte ihren Namen und richtete sich in Vivianes Schoß auf.
Die Herrin vom See lächelte und strich ihr über die dunklen Haare. »Glaube nicht, daß die Kleine nichts versteht. Kleine Kinder wissen mehr, als wir ahnen. Sie können ihre Gedanken nicht aussprechen, und deshalb glauben wir, daß sie nicht denken. Dieses Kind hier wird… aber das liegt in der Zukunft, und ich werde vor ihren Ohren nicht darüber sprechen. Aber wer weiß, eines Tages wird vielleicht auch sie eine große Priesterin sein…«
»Niemals! Selbst wenn ich Christin werden muß, um das zu verhindern«, empörte sich Igraine. »Glaubst du, ich werde zulassen, daß du das Leben meines Kindes verplanst wie mein Leben?«
»Friede, Igraine«, sagte der Merlin, »du bist so frei wie jedes Kind der Götter. Wir sind gekommen, um dich zu bitten, nicht um dir zu befehlen. Nein, Viviane,..«, er hob die Hand, als die Priesterin ihn unterbrechen wollte, »Igraine ist kein hilfloses Spielzeug des Schicksals. Aber ich glaube, wenn sie alles weiß, wird sie sich richtig entscheiden.«
Morgaine war unruhig geworden. Viviane sprach besänftigend auf sie ein, strich ihr über die Haare, und sie beruhigte sich wieder. Aber Igraine stand auf und nahm das Kind. Sie war wütend und eifersüchtig auf Vivianes beinahe magische Kraft, das kleine Mädchen zur Ruhe zu bringen. Morgaine lag merkwürdig fremd in ihren Armen, als habe die Zeit auf Vivianes Schoß sie verändert, vergiftet, und sie schien jetzt irgendwie weniger ihr zu gehören. Igraine spürte brennende Tränen in den Augen. Morgaine war alles, was sie hatte. Und jetzt wurde sie auch von ihr getrennt – wie alle unterlag selbst das Kind Vivianes Zauber – dem Zauber, der jeden zu einer hilflosen Puppe ihres Willens machte. Sie herrschte Morgause an, die immer noch zu Vivianes Füßen saß.
»Steh sofort auf, Morgause, und geh in deine Kammer. Du bist fast eine Frau und solltest dich nicht wie ein verwöhntes Kind benehmen!«
Morgause hob den Kopf, schob den Vorhang ihrer roten Haare aus dem hübschen, schmollenden Gesicht und fragte: »Warum braucht ihr Igraine für eure Pläne? Sie will nichts damit zu tun haben. Aber ich bin eine Frau und auch eine Tochter der Heiligen Insel. Warum habt ihr mich nicht für Uther, den Pendragon, bestimmt? Warum sollte nicht ich die Mutter des großen Königs sein?«
Der Merlin lächelte: »Willst du dich mutwillig dem Schicksal ausliefern, Morgause?«
»Weshalb soll die Wahl auf Igraine fallen und nicht auf mich? Ich habe keinen Gemahl…«
»In deiner Zukunft gibt es einen König und viele Söhne. Und damit mußt du dich zufriedengeben, Morgause. Niemand, kein Mann und
keine Frau, kann das Schicksal eines anderen auf sich nehmen. Dein Schicksal und das deiner Söhne sind eng mit diesem mächtigen Großkönig verbunden. Mehr kann ich dir nicht sagen, Morgause«, schloß der Merlin.
Igraine stand würdevoll vor ihren Gästen. Mit Morgaine in den Armen fühlte sie sich der Lage weit besser gewachsen. Tonlos sagte sie: »Ich lasse es leider an Gastfreundlichkeit fehlen, meine Schwester, Ehrwürdiger Merlin. Erlaubt, daß Euch meine Dienerinnen in eure Gemächer geleiten. Sie werden euch Wein bringen und Wasser zum Waschen. Bei Sonnenuntergang wird das Mahl bereitstehen.«
Viviane erhob sich. Ihre Worte klangen förmlich und ruhig. Einen Augenblick lang war Igraine erleichtert. Sie war wieder Herrin im eigenen Haus; kein geduldiges Kind, sondern die Gemahlin von Gorlois, des Herzogs von Cornwall. »Bis zum Sonnenuntergang, meine Schwester.« Aber Igraine bemerkte den Blick, den Viviane dem Merlin zuwarf, und er sprach ebenso deutlich wie Worte:
Lassen wir es für den Augenblick. Ich werde sie schon umstimmen, wie ich es immer getan habe.
Igraine spürte, wie sich ihre Züge verhärteten:
Oh, ja, das hat sie schon immer getan. Aber dieses Mal soll es ihr nicht gelingen. Ich habe mich ihrem
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