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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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um die Corpora delicti auf dem Tisch. Ich erkannte das Gemälde mit dem Pferdekopf und Egons Uniformjacke. Die kleine dorische Säule und die sich selbst verschlingende Schlange hatte ich vorher noch nie gesehen. DieStimmung schlug um, als Willy die Grammophonplatten durch den Saal zu schleudern begann. Eine flog in ein Gemälde, eine andere blieb im Kronleuchter hängen, aber niemand lachte darüber, es wurde nur noch gegrölt. Verbotene Musik, amerikanisch-jüdisches Dreckzeug, da, Billy Murray, hab ich dir doch gesagt, Irving Kaufman, tsss, Louis Armstrong wohlgemerkt. Friedrich sah sich verstohlen um und nahm dann einen Schluck aus der Flasche, der rote Saft troff ihm übers Kinn. Ein Blödmann zog die Offiziersjacke an. Die kleine Säule wurde kaputtgeschmissen, der Ouroboros verschwand in einer Innentasche, der Pferdekopf wurde herumgeschleppt, bis jemand die Leinwand durchstieß. Als letztes wurden die Bücher verbrannt. Über einen nachglimmenden Titel mußten sie lachen: Die Zukunft einer Illusion .
    Zum Glück folgte mir niemand. Logisch, ich sah schrecklich aus, als ich aus dem Saal torkelte. Betrunken, sagte man dazu, aber mein Geist war sehr klar, der stellte immerhin fest, daß ich überhaupt nicht mehr Herrin meiner Gliedmaßen war. Jetzt die Treppe. Ach, wäre ich nur nicht so groß geworden. Das hatte ich als Kleinkind gesagt und würde es auch noch als Alte sagen, und mein ganzes Leben lang würde ich an diese Stufen zurückdenken, die ich jetzt, wie vor den Kopf geschlagen, also mit sehr klarem Geist, hinaufstieg. Was ich da ausgefressen hatte, daran konnte ich niemandem die Schuld geben, das war einfach zum Kotzen. Mein Zimmer erreichte ich auf zwei Beinen. Noch war ich nicht verloren. Im Bett drehte ich mich noch eine Weile in meinem Rausch, lauschte den merkwürdigen Geräuschen, die ich auch schon am Morgen gehört hatte. Sie wechselten sich mit tödlich stillen Phasen ab, die immer länger wurden und damit noch beunruhigender. Später schrak ich auf, weil ich mich übergeben mußte. Im Stockfinstern, die Waschschüssel zwischen meinen zitternden Knien, hörte ich, daß sich die Akustik auf Raeren wieder normalisiert hatte. Von ganz fern ertönte Jubel und das scharfe Glockenspiel sich kreuzender Degen.
     
    Leni. Sie war es wirklich. Sie klatschte in die Hände, und es war später Morgen, während ich dachte, die Nacht sei noch lange nicht vorbei. Es war sofort klar, wer hier die Frau des Hauses war. Sie war mit einem schlechten Gefühl früher aus Köln zurückgekehrt und hatte das Gesindel aus dem Haus gejagt. Vom Balkon aus sah ich sie im Garten herumtorkeln. Dem Unparteiischen, den Mantel locker um die Schultern, half ein Student in den Bus, der Egons Hut trug. Ich suchte den Großen und sah ihn dastehen, breitbeinig, mit gekipptem Becken, eine Hand an einem Baum. Als sie weg waren, half ich Leni beim Aufräumen. Wir hatten kaum ein Wort gewechselt und schwiegen weiter, während wir Scherben einsammelten, die nicht mehr geklebt werden konnten. Hinter jeder Tür, die wir öffneten, lag Krempel, der uns sprachlos machte. Wie sich zeigte, hatte sich auf Raeren viel mehr Zeug verborgen, als wir für möglich gehalten hätten. Plötzlich sah ich Gemälde in Fetzen, die ich nie heil gesehen hatte, schwelende Reste von Kleidungsstücken, die ich niemanden hatte tragen sehen, zerrissene Zeitungen, Bücher, Briefe, die ich noch nicht entdeckt hatte. Alles, was kaputt war, warfen wir weg, denn wozu sollte man etwas aufbewahren, das erst ins Auge fällt, wenn es nicht mehr in Ordnung ist. Ganz am Ende des Chaos fanden wir die Zwillinge. Sie lagen nebeneinander auf der Terrasse, in ihren Fechtanzügen. Ihre schlaffen Füße mit den einwärts gewandten Zehen, ihre unbewaffneten Hände, die über die Brust hinweg ineinandergriffen, der zufriedene Kinderschlaf auf ihren Gesichtern. Alles wie gehabt. Der Himmel, der Boden und sie waren schneeweiß, als ob es geschneit hätte. Nur Friedrichs Kragen war rot vom verkleckerten Ahrwein.

9
    Das große Aufräumen begann am Tag darauf, als Egon mit dem Gesichtsausdruck eines Verliebten zurückkehrte. Das hatte Heinz gemurmelt, als er ihn in der Diele begrüßte: »Sie strahlen ja so, als ob Sie der Liebe begegnet sind.«
    »Das bin ich auch«, antwortete Egon, während er unter dem Mantel ein großes, brüchiges Buch hervorholte. »Ich habe in Amsterdam diesen alten Meister gefunden.«
    Und ob ich eifersüchtig war. Auf ein Ding, ein Buch oder was auch immer,

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