Die niederländische Jungfrau - Roman
die Gläser halbvoll und kippten den Inhalt in einem Zug herunter. Friedrich beugte sich über mich. Er wirkte jetzt muskulöser, oder war einfach angespannt wie eine Feder, aber im Halbdunkel und in der Stille, die wir bewahren mußten, spürte er, was geschehen mußte, als stünde es in Braille auf meinen Körper geschrieben. Zufrieden stellte ich fest, daß mein Trikot seine Hand fest an Ort und Stelle hielt. Wir würden sehen.
»Was für ein Schuft, dieser von Bötticher, so was zu sagen. Weißt du, Heinrich, ich war dabei, als sie in diesem Frühjahr über die Brücke in Köln marschierten. Ein großartiger Anblick. Die Uniformen schlicht, die Mienen entschlossen. Ich kann dir sagen: Mir kamen die Tränen. Und ich war nicht der einzige. Es ist so lange her, daß wir unsere Soldaten sahen. Mut, den nehmen sie uns nicht.«
»Ich erinnere mich an die Husaren«, hörte ich Heinz sagen. »1914. Die machten wirklich nicht viel her. Schön rausgeputzt, das schon, aber da waren Männer dabei, die eindeutig noch nie die Faust geballt hatten, gemütliche Dickwänste, die gern Wurst aßen, und Intelligenzler mit Kneifer, bei denen man sich nur fragen konnte, wie die es da draußen aushalten würden.«
»Intelligenzler mit Kneifer? Weltjuden. Die kann man nur mit Mühe zertreten, die rutschen überall durch. Wie Asseln.«
Von oben erschallte Grammophonmusik, falsche Foxtrottfetzen, die jede Leidenschaft ersticken würden, nicht aber die des Epheben. Nichts konnte ihn, den heranstürmenden Mann, von mir, der ersten Frau, ablenken. Von unserem zugigen Garten Eden würde ihm immer in Erinnerung bleiben: mein eingepacktes Möschen, das zwischen seinen Fingern wartete.
»Herr Raab, sagen Sie mal, ist Doktor Reich nicht auch so einer? Ein Weltjude?«
»Warum, glaubst du, haben wir ihn zu Hause gelassen? Nur dein Boß gibt sich mit diesem staatenlosen Ungeziefer ab. Es ist nur, er hat so viele Beziehungen, wirdürfen nicht übereilt handeln. Aber dazu später mehr, jetzt erst …«
»Die schlauen Männer«, sagte Heinz mit dicker Zunge. »Wissenschaftler. Es vergeht kein Monat, ohne daß sie wieder was erfinden, und trotzdem wird keine Arbeit eingespart. Als ich noch in der Fabrik gearbeitet habe, mußten sie Leute einstellen, die die Maschinen bedienen konnten. Aber wurde die Arbeit dadurch besser? Nein. Die Maschine stand zwischen uns, niemand verstand sie. Niemand verstand mehr, was der Sinn seiner Arbeit war …«
Seine Darlegungen verloren sich in einem Hustenanfall, und dann fiel auch noch die Flasche um, was dem Unparteiischen eine Serie von Flüchen entlockte.
»Ich hol eine neue«, keuchte Heinz, »wir haben genug.«
Ich hörte ihn ganz in der Nähe herumtappen. Was, wenn er sich daran erinnerte, daß Friedrich in die Kammer gegangen war? Ich suchte nach einem besseren Versteck, doch das war für Friedrich nur das Signal, mein Trikot herunterzuziehen und mir sein steuerloses Glied zwischen die Beine zu stoßen. Ich zeigte ihm den Weg nicht. Ich beschloß, mich außerhalb des Lichtkreises zu halten, so daß ich seinen Blick ergründen konnte. Aus dem Dunkel heraus sah ich, wie seine beunruhigte Leidenschaft verschwand, sowie er, glühend heiß, das dann doch, in mich eindrang. Danach gab es nur noch Feststellungen. Seine: Das bin ich, und ich tue das, und meine: Das hätte ich nicht tun sollen. Und wo war nun seine Schönheit geblieben? Ich versuchte, mich unter ihm auszustrecken, doch alles, was ich sehen konnte, waren die Bewegungen unter den hastig abgestreiften Kleidern.
»Der Arbeiter, der hat nicht mehr verstanden, wofür er arbeitet, verdammt noch mal!« schrie Heinz dicht nebenuns. »Er vereinsamte! Wir waren einsam in diesen Jahren. Waren wir nicht verdammt einsam alle zusammen, in diesen Jahren nach dem Krieg?«
» Die Zeiten sind vorbei, Heinrich. Jetzt haben wir einen Führer.«
»Ende der Einsamkeit, Heil!«
»Heil.«
Als wir herauskamen, schliefen sie, die Köpfe auf den Armen. Es war noch nicht einmal sieben. Unter dem Ohr des Unparteiischen lag die Armbinde mit dem Hakenkreuz, wie ein maßgeschneidertes Kopfkissen. Es hatte etwas Animalisches, wie sie da eingenickt waren, vor ihnen auf dem Tisch die Pastete, die sie nicht aufgewärmt, sondern mit den Händen auseinandergerissen und leergegessen hatten. Des weiteren waren noch eineinhalb Flaschen Apfelkorn in diesen offenen Mündern verschwunden, aus denen jetzt nur Schnarchen drang, Schnarchen, mit dem sie sich viel gemütlicher
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