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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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von dem ich kein Teil war. Ich gehörte zum Personal und zu den Zwillingen, den ungezogenen Kindern auf dem Flur des heimgesuchten Hauses, aber ihm fiel nichts auf. Er war wirklich so blind wie ein Verliebter. Wir hielten den Atem an, als er zu seinem Zimmer ging, aber daraus ertönte kein Schrei. Er fragte nicht, wo das Bild mit dem Pferd geblieben, warum die Fensterscheibe eingeschlagen war, weshalb die Vorhänge und die Tapete zerrissen waren, sondern kam wieder mit denselben vor Begeisterung glühenden Wangen zurück, mit denen er das Zimmer betreten hatte. Er zündete sich eine Zigarre an und sagte, ganz Raeren müsse aufgeräumt werden. Da brach es aus Leni heraus. Sie jammerte, es sei nicht unsere Schuld, wir hätten es schon, so gut es ging, sauberzumachen versucht, sie seien zu zehnt gekommen und hätten Heinzi, den armen Kerl, drangekriegt, na ja, betrunken gemacht, und das Mädchen und die beiden Knaben hätten gegen eine solche Übermacht natürlich nichts ausrichten können, sie aber, Leni, habe schon in Köln gespürt, daß es Randale gab.
    »Verstehen Sie, das ist alles wegen Doktor Reich, der ist nicht erschienen und hat uns diese Bengel aufgehalst, das verstehen Sie doch, unter uns gesagt und geschwiegen: Dem Doktor ist nicht zu trauen.«
    Sie feuerte einen dieser Blicke auf mich ab, die man am liebsten wegschlagen würde, die so eindringlich sind, daß man sich hütet, etwas zu sagen.
    »Und der arme Heinzi hat sogar noch ein paar Sachen in seine Werkstatt gebracht, weil er sehen wollte, was davon noch zu retten ist«, fuhr sie fort, den Blick wieder auf Egon gerichtet.
    »Das stimmt doch, Heinzi?«
    Heinz nickte mit schiefgelegtem Kopf, er hatte ihn schon zwei Tage lang nicht mehr gerade gehalten, Lenis Worte rollten in sein eines Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Die Mitte seines Gesichts war seit seinem Rausch zugekniffen, es war deutlich, daß damit vorläufig nichts gesagt werden würde. Egon tätschelte ihm die Schulter oder vielleicht stützte er sich ja nur auf ihn, um den kleinen ovalen Spiegel von der Wand zu nehmen.
    »Alles, was nicht gebraucht wird, muß weg. In diesem Haus ist zu vieles, was nicht funktioniert. Ich sage, was verschwinden muß, ihr dürft euch ausdenken, wie, Hauptsache, ich sehe es nicht mehr.«
    »Aber das ist Sünde, das kann man doch noch gebrauchen!« sagte Leni, und das sollte sie in den kommenden Tagen noch oft sagen. Egon deutete auf sehr vieles, so viel, daß Heinz die Schubkarre holen mußte. Mit dem schmutzigen Rad hinterließ er lange Mistspuren im ganzen Haus, aber Egon wurde nicht böse, da Mist sich ja wenigstens ordentlich zersetzte, wohingegen der Dreck, der von Menschenhand hinterlassen wurde, haftenblieb wie etwas, was wirklich schmutzig ist. Er sagte, daß alle immer nur von Gegenständen redeten, während es doch um Gedanken gehe, die Erfindungen vorausgegangen seien. »Nicht das Rad ist wichtig, sondern die Gedanken, die zu ihm geführt haben.«
    Und fort mit den wackligen Stühlen. Wir warfen sie weg, ohne zu zweifeln, so wie Vögel ihre Kümmerlinge aus dem Nest stoßen, doch bei den bayrischen Nußknackern fiel es uns schwer, und warum die Pendeluhr wegmußte, verstand niemand. Heinz versuchte, möglichst viel beiseite zu schaffen, um es weiterzuverkaufen, wohingegen Egon es genoß, etwas mit einem Wurf in die Schubkarre zu zerdeppern, wie zum Beispiel das Mokkaservice. Die Bücher durften bleiben, wie auch die Waffen sowie die Sammlung abgetretener Schuhe, die wir hinter einem Vorhang auf dem Dachboden fanden. »Ich habe keine Ahnung, von wem die sind«, sagte Egon. »Wenn man genau hinschaut, sieht man, daß sich der Eigentümer Hals über Kopf aus dem Staube gemacht hat.«
    Er ist verrückt geworden, sagte Leni immer wieder, er wird es noch bereuen. Die Möbel, die wie sitzengelassene Bräute unter Bettüchern in den Schlafzimmern gewartet hatten, mußten wir mit einem Stift kennzeichnen. Starke Männer sollten angeheuert werden, um sie mitzunehmen, desgleichen ein paar gute Maler und Tapezierer. Egon wollte mehr als nur aufräumen. Am Ende des Tages schichtete Heinz einen Scheiterhaufen im Garten auf. Wir sahen zu, wie er die Sachen zusammenschob und zu einem hohen Turm stapelte, stabil genug, um darin zu wohnen. Genauso sorgsam zündete er ihn mit dem spiritusgetränktenPorträt der Kaisertochter an. »Damit bin ich zufrieden«, sagte er, als blaue Flammen aus Viktoria Luises Haupt schlugen. »Das wird mir keine schlaflosen Nächte

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