Die Nonne und die Hure
überprüfen. In anderen Einrichtungen habe es Verfehlungen gegeben.
»Jede von euch soll in sich gehen und schauen, welchen Lebenswandel sie führt. Wenn sie etwas in ihrem Besitz hat, soll sie es dem Kloster als Eigentum übergeben. Die seidenen Gewänder, die ich gesehen habe, bringt in die Kleiderkammer, damit wir sie für gute Zwecke verkaufen können. Nicht jede von euch hat vermögende Verwandte. Denkt an die Armen unter uns, für die niemand den Aufenthalt bezahlt. Und jetzt an die Arbeit! Ich erwarte euren Bericht nach dem Gottesdienst«, endete die Äbtissin.
Celina dachte an das Säckchen mit Geld, das sie unter ihrer Matratze versteckt hatte. Nein, das würde sie nicht hergeben. Sie war nicht freiwillig in das Kloster gekommen. Warum also sollte sie sich allen Regeln beugen? Sie würde kurz vor der Begehung durch den Patriarchen das Geld an sich nehmen und an ihrem Körper verstecken. Die Kleider, die sie mitgebracht hatte, waren in der Kleiderkammer aufbewahrt. Mehr hatte sie nicht zu verbergen, im Gegensatz zu vielen ihrer Mitschwestern, die eine ängstliche Betriebsamkeit entwickelten. Es wurde nicht nur geputzt, es wurden nicht nur Kleider, Schmuck und Speisen weggetragen, nein, die Nonnen trugen ab sofort wieder die vorgeschriebene Klostertracht mit Hauben, Skapulieren und flachen Schuhen. Die hochhackigen bunten Schuhe, die geschlitzten Röcke und Seidenstrümpfe wurden versteckt. Schminktöpfe, Puder und andere Utensilien verschwanden. Eine fieberhafte Unruhe hatte die Nonnen erfasst. Celina schien es sogar, als sängen und beteten sie lauter als sonst. Zusammen mit dem Cellerar rollten Laienschwestern Fässer mit Himbeerwein und Bier ins Cellarium, wo sie die geistigen Getränke in der hintersten Ecke verstauten. Hunde, Schweine und Papageien wurden an einen geheimen Ort gebrachtoder leihweise den Huren übergeben, die tagtäglich in der Nähe des Klosters defilierten.
Am Morgen des dritten Tages mussten sich alle Nonnen im Kapitelsaal versammeln. Als die Glocke der Kirche die neunte Stunde schlug, zog der Patriarch ins Kloster ein. Francesco Cornaro war ein großer, kräftiger Mann mit einem dunklen Bart. Er trug eine schwarzseidene Soutane mit rotem Innenfutter und seine Escime, die Mütze. Im Saal war es totenstill. Suor Mathilda wirkte aufgeregt; sie wies mit leiser Stimme eine Laienschwester an, dem Patriarchen und seinen zwei Begleitern Wein anzubieten.
Der Patriarch blickte in die Runde, machte eine segnende Geste und erhob seine Stimme: »Schwestern in Christo, ich bin heute gekommen, um das Kloster einer Prüfung zu unterziehen. In der Stadt sind in den letzten Monaten Gerüchte laut geworden, nach denen es in venezianischen Klöstern nicht immer so zugeht, wie es zugehen sollte. Armut und Keuschheit sind die Hauptgebote des heiligen Benedikt, daneben gilt es zu beten und zu arbeiten. Ich kann nicht verhehlen, dass Verfehlungen aufgedeckt wurden. Nicht nur Verstöße gegen das Armutsgebot, sondern auch gegen das der Keuschheit. Wir werden sehen, wer unter euch ohne Sünde ist und wer wegen seiner Vergehen bestraft werden muss. Sollte ich herausbekommen, dass sich männliche Mitglieder unseres Stadtstaates oder auch ausländische Herren hier eingeschlichen haben, werden sie hohe Strafen erwarten. Eine jahrelange Verbannung ist noch das Mindeste. Der Zehnerrat erwägt sogar, die Todesstrafe für den Verkehr mit einer Nonne einzuführen! Nun wollen wir ein Lied miteinander singen, und dann werden mich einige von euch bei meinem Rundgang begleiten.«
Der Patriarch deutete auf Celina und auf vier andere Nonnen. Die Schwestern begannen einen mehrstimmigen Psalm anzustimmen.
»Geht wieder an die Arbeit«, rief Suor Mathilda ihren Schützlingen zu und klatschte in die Hände. Sie selbst machte sich mit den ausgewählten Nonnen daran, den Patriarchen auf seinem Rundgang zu begleiten. Zunächst begaben sie sich zum Refektorium. Einige Laienschwestern waren damit beschäftigt, den Boden zu fegen. Der Patriarch bedeutete der Gruppe, anzuhalten und sich nebeneinander aufzustellen.
»Jetzt sagt mir erst einmal eure Namen«, sagte er in freundlichem Ton.
Celina beeilte sich, dem Patriarchen ihren Namen zu nennen, da er sie als Erste angesehen hatte. Auch die anderen stellten sich der Reihe nach vor: Alessia, Giulia, Gaia, Rebecca.
»Jetzt sag mir, Celina – werden während der Mahlzeiten Texte aus der Heiligen Schrift verlesen, wird das Schweigegebot eingehalten?«
»Das wird so gemacht,
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