Die Nonne und die Hure
Ablass beseitigt, aber die Katholischen versuchen mit Macht wieder an Boden zu gewinnen.«
»Und was noch schlimmer ist«, ließ sich Johann Kerner vernehmen, »das, was die Inquisition Jahrhunderte lang mit den Ketzern gemacht hat, machen die Gegenreformisten nun mit den Reformierten.«
»Das ist wie ein Fass ohne Boden«, fiel Balthasar von Althausen ein. »Seit der Papst Luthers Werke und andere auf den ›Index verbotener Bücher‹ gesetzt hat, wird es immer schwieriger. In katholischen Gegenden ist es gefährlich, mit solchen Büchern erwischt zu werden. Wir brauchen auf jeden Fall jemanden, der nach Venedig geht und dort die Verleger unterstützt. Mit Geld, Worten und Taten.«
»Wir sollten uns überlegen, wer am besten geeignet ist, solch eine gefährliche Mission zu erfüllen«, meinte Reinhard.
»Ich schlage Christoph Pfeifer vor«, sagte Johann Kerner.
Die anderen klopften mit ihren Fingerknöcheln zustimmend auf den Tisch.
Christoph wurde es heiß.
»Warum gerade ich?«, fragte er. »Jeder von uns käme in Frage.«
»Du hast Philosophie und Theologie studiert und kannst dich als fahrender Schüler ausgeben. Das ist die beste Grundlage für so einen Auftrag.«
»Außerdem solltest du in deinem Alter etwas von der Welt sehen«, setzte Balthasar von Althausen hinzu.
Die Magd, ein ältliches Mädchen mit Kittelschürze und Schneckenfrisur, trug eine dampfende Schüssel herein. Die Männer tunkten Weißbrot in die safrangelbe Hühnersuppe.
»In der Kunst wie in der Wissenschaft hat es eine Revolution gegeben«, sagte Kerner, nachdem er sich das Fett mit einem Tuch vom Mund gewischt hatte. »Die Menschen können, dank des Buchdrucks, ihre Bibel selber lesen. Doch es gibt andere, die am alten Glauben festhalten und die neuen Gedanken vernichten wollen. Es wird deine Aufgabe sein, Christoph, einige dieser Bücher über die Alpen nach Venedig zu bringen. Du nimmst Verbindung mit einem Verleger namens Brinello auf und hilfst ihm, diese und andere Bücher vor der Verbrennung zu retten.«
Christoph wurde immer aufgeregter. Der Gedanke, allein nach Venedig zu gehen, erfüllte ihn gleichzeitig mit Angst und Freude.
»Diese Aufgabe übernehme ich gern«, sagte er. »Aber was ist, wenn ich gefasst werde?«
»Dann wird kein Sterbenswörtchen über deine Lippen kommen«, war Kerners Antwort.
»Ich werde lieber sterben, als euch zu verraten!«, rief Christoph aus.
»Es ist spät geworden, meine Herren«, sagte Reinhard und erhob sich. »Wir werden den Lauf der Dinge heute nicht mehr beeinflussen können. Leeren wir die Becher und gehen zu Bett.«
Nachdem die Männer sich gegenseitig zugeprostet hatten, zog sich jeder auf seine Kammer zurück. Christoph lag noch lange wach und dachte über das nach, was er gehört hatte. Sein Entschluss stand fest: Er würde nach Venedig gehen, nicht nur, um den Verlegern beizustehen, sondern auch, um an dem Neuen, das in die Welt gekommen war, teilzuhaben.
In aller Frühe stand Christoph auf. Im Burghof waren die ersten Geräusche des Tages zu hören. Milchkannen klapperten, ein Hahn krähte, und die Knechte und Mägde riefen einander Scherzworte zu. Christoph schnürte sein Felleisen und wandte sich zum Burgtor. Reinhard kam auf ihn zu und händigte ihm zwei versiegelte Briefe und einige Bücher aus.
»Das sind Empfehlungsschreiben für die Posthaltereien und für einen Freund von mir in Mittenwald. Schau, dass du unerkannt bis zur habsburgischen Grenze kommst.«
»Was sind das für Bücher?«, wollte Christoph wissen.
»Wichtiges Gedankengut für unsere venezianischen Freunde: die Lutherbibel sowie ein paar andere Schriften von ihm wie ›Von der Freiheit eines Christenmenschen‹, Die ›Confessio Augustana‹, das ›Augsburger Bekenntnis‹‚ ›Traktat gegen die Gewalt und den Primat des Papstes‹ – und ›Lob der Torheit‹ des Erasmus von Rotterdam. Lass niemand diese wertvollen Aufzeichnungen sehen, hüte sie wie deinen Augapfel. Ich habe mich nur schweren Herzens entschlossen, sie dir mitzugeben, aber die Gedanken müssen verbreitet werden, sonst ist bald alles wieder beim Alten.«
Christoph spürte, welche Bürde ihm damit auferlegt wurde.
»Ich werde die Bücher wohlbehalten nach Venedig bringen«, sagte er, nahm das Felleisen vom Rücken und legte die Bücher zwischen seine Kleider.
Die Männer umarmten sich.
Christoph zog die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht, stieg auf das bereitgestellte Pferd, einen schönen braunen Araberhengst, und
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