Die Ökonomie von Gut und Böse - Sedlacek, T: Ökonomie von Gut und Böse
unbemerkt bleiben.
Um ein guter Ökonom zu sein, muss man entweder ein guter Mathematiker oder ein guter Philosoph oder beides sein. Wir haben zu viel Gewicht auf das Mathematische gelegt und unser Menschsein vernachlässigt. Das hat zu schiefen, künstlichen Modellen geführt, die uns oft kaum dabei helfen, die Realität zu verstehen.
Die Beschäftigung mit der Metaökonomie ist wichtig. Wir müssen über die Ökonomie hinausgehen und untersuchen, welche Glaubensanschauungen es »hinter den Kulissen« gibt; diese Ideen sind nämlich häufig zu den vorherrschenden, aber unausgesprochenen Annahmen in unseren Theorien geworden. In der Ökonomie wimmelt es von Tautologien, deren die Ökonomen sich größtenteils nicht bewusst sind. Die nicht historische Betrachtungsweise, die heute in der Ökonomie dominiert, greift zu kurz. Für das Verständnis des menschlichen Verhaltens ist es wichtig, sich mit der historischen Entwicklung der Ideen, die uns prägen, zu befassen.
Dieses Buch ist ein Beitrag zu der schon lange anhaltenden Auseinandersetzung zwischen der normativen und der positiven Ökonomie. Wissenschaftliche Modelle haben jetzt die Rolle übernommen, die in den alten Zeiten die normativen Mythen und Gleichnisse spielten. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, doch wir sollten es offen zugeben.
Die Menschheit schlug sich schon lange vor Adam Smith mit ökonomischen Fragen und Problemen herum. Mit ihm hat die Suche nach Werten in der Ökonomie nicht erst begonnen, sondern ihren Höhepunkt erreicht. Der moderne Mainstream, der behauptet, er sei aus der klassischen Smith-Ökonomie hervorgegangen, hat die Ethik vernachlässigt. In den klassischen Debatten war die Frage von Gut und Böse das vorherrschende Thema, doch heute gilt es schon fast als ketzerisch, überhaupt darüber zu sprechen. Die populäre Auslegung von Adam Smith versteht ihn nicht richtig, sein Beitrag zur Ökonomie ist viel umfassender und geht weit über das Konzept der unsichtbaren Hand des Marktes und die Geburt des egoistischen, ichzentrierten Homo oeconomicus (Smith selbst hat diesen Begriff nie verwendet) hinaus; sein einflussreichster Beitrag zur Ökonomie war ethischer Natur. Seine anderen Gedanken – zur Spezialisierung und zum Prinzip der unsichtbaren Hand des Marktes – waren schon lange vor ihm klar zum Ausdruck gebracht worden. Es wird sich zeigen, dass das Prinzip der unsichtbaren Hand viel älter ist und lange vor Smith entwickelt wurde. Bereits im Gilgamesch-Epos, im hebräischen Denken und im Christentum finden sich Spuren davon; Aristophanes und Thomas von Aquin formulierten es explizit.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, unsere ökonomische Einstellung zu überdenken, denn heute ist den Leuten das angesichts der Schuldenkrise wichtig, und sie sind bereit, zuzuhören. Uns stehen ausgefeilte mathematische Modelle zur Verfügung, doch wir haben die ökonomischen Lektionen aus den einfachsten Geschichten aus dem Kindergottesdienst nicht gelernt, beispielsweise aus der Geschichte von Josef und dem Pharao. Wir müssen unser allein auf das Wachstum ausgerichtetes Denken aufgeben. Die Ökonomie kann eine wirklich faszinierende Wissenschaft sein und ein breites Publikum ansprechen!
In gewisser Weise ist dieses Buch eine Studie zur Evolution des Homo oeconomicus und, was noch wichtiger ist, zur Geschichte seiner Animal Spirits. Es geht um die Entwicklung der rationalen wie der emotionalen, irrationalen Seite des Menschen.
Die Grenzen der Neugier
Da die Ökonomie es sich herausgenommen hat, ihr Denksystem auf Bereiche anzuwenden, die traditionell zur Theologie, Soziologie und Politologie gehörten, sollten wir einmal gegen den Strom schwimmen und die Ökonomie vom Standpunkt der Theologie, Soziologie und Politologie aus betrachten. Wenn die moderne Ökonomie es wagt, die Funktionsweise von Kirchen zu erklären und wirtschaftliche Analysen der familiären Bindungen durchzuführen (die oft durchaus neue, interessante Erkenntnisse bringen), können wir doch umgekehrt die theoretische Ökonomie so erforschen wie religiöse Systeme und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Mit anderen Worten: Weshalb sollten wir nicht versuchen, die Ökonomie einmal anthropologisch zu betrachten?
Dazu müssen wir uns zunächst von der Ökonomie entfernen. Wir müssen uns ganz an ihre Grenzen vorwagen – oder, noch besser, über sie hinaus. Wir müssen Ludwig Wittgensteins Metapher des Auges aufgreifen, das zwar seine Umgebung beobachtet, aber nie sich selbst,
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