Die Päpstin
noch nie von Päpstin Johanna gehört, und diejenigen, denen ihr
Name geläufig ist, betrachten ihr Leben als Legende.
Doch über mehr als achthundert Jahre hinweg – von der Mitte des neunten bis ins siebzehnte Jahrhundert – war Johannas Pontifikat
allgemein bekannt und wurde als historische Wahrheit akzeptiert. Im siebzehnten Jahrhundert jedoch unternahmen verschiedene
Einrichtungen der katholischen Kirche, die sich wachsenden Angriffen durch den aufstrebenden Protestantismus ausgesetzt sah,
einen gemeinschaftlichen Versuch, die peinlichen historischen Unterlagen über Johanna zu vernichten. Hunderte von Büchern
und Manuskripten wurden vom Vatikan eingezogen. Wie wirkungsvoll diese Maßnahmen waren, wird schon dadurch ersichtlich, daß
Johanna aus dem heutigen Bewußtsein praktisch verschwunden ist.
Die katholische Kirche führt derzeit zwei grundsätzliche Argumente ins Feld, die angeblich gegen Johannas Papstamt sprechen:
zum einen das Fehlen jeglicher Erwähnung Johannas in zeitgenössischen Dokumenten, zum anderen der angebliche Mangel an ausreichendem
zeitlichem Spielraum, um Johannas Pontifikat zwischen dem Ende der Amtszeit ihres Vorgängers, Papst Leo IV., und dem Beginn
der Amtszeit ihres Nachfolgers, Papst Benedikt III., »unterzubringen«.
Diese Argumente sind jedoch alles andere als schlüssig. Es kann kaum verwundern, daß Johannas Name in keinen zeitgenössischen
Dokumenten erscheint, wenn man bedenkt, wieviel Zeit der Kirche zur Verfügung stand – und wieviel Energie sie darauf verwendet
hat –, jeden Hinweis auf Päpstin Johanna zu verwischen. Es kommt hinzu, daß Johanna im |557| neunten Jahrhundert gelebt hat, einem der dunkelsten des frühen »finsteren Mittelalters«; dies hat es der Kirche mit Sicherheit
leichter gemacht, alle Spuren zu beseitigen, die Johanna als Päpstin hinterlassen hat. Im neunten Jahrhundert war das Analphabetentum
weit verbreitet, was durch die außerordentliche Armut an schriftlichen Quellen unterstrichen wird. Deshalb muß man sich heute
bei der wissenschaftlichen Erforschung dieser Epoche zumeist auf bruchstückhafte, unvollständige, verstreute, widersprüchliche
und unzuverlässige Dokumente stützen. Es gibt keine Gerichtsakten, keine Unterlagen über Landvermessungen, keine Aufstellungen
über Ernteerträge, kaum Tagebücher oder Aufzeichnungen über das tägliche Leben. Von einer höchst umstrittenen Handschrift
abgesehen, dem
Liber Pontificalis
(das von einigen Wissenschaftlern als »propagandistisches Dokument« bezeichnet wurde), gibt es auch keine fortlaufende Liste
der Päpste des neunten Jahrhunderts (und nicht nur des neunten) – wer sie waren, wann sie regierten, was sie bewirkt haben.
Johannas Nachfolger beispielsweise, Papst Benedikt III., wird praktisch nur im
Liber Pontificalis
erwähnt – und dabei war
er
nicht das Ziel eines regelrechten Vernichtungsfeldzuges.
Doch ein uraltes Exemplar des
Liber Pontificalis
, in dem auch Johannas Pontifikat verzeichnet ist, existiert noch heute. Der Eintrag über Johanna stammt offensichtlich aus
späterer Zeit und wurde unbeholfen in den Hauptteil des Textes eingefügt. Aber dies bedeutet keineswegs, daß der Bericht falsch
ist; ein späterer Geschichtsschreiber, der von der Richtigkeit der Aussagen politisch weniger suspekter Chronisten überzeugt
gewesen sein mag, fühlte sich möglicherweise moralisch verpflichtet, die »offizielle« Akte zu korrigieren. Der protestantische
Historiker Blondel, der den Text im Jahre 1647 untersuchte, gelangte zu dem Schluß, daß die Einfügung über Johanna im 14.
Jahrhundert vorgenommen wurde; dabei stützte er seine Meinung jedoch ausschließlich auf die Unterschiede in Stil und Handschrift
– bestenfalls subjektive Einschätzungen. Was dieses Dokument betrifft, sind also wichtige Fragen offengeblieben. Wann wurde
der fragliche Absatz geschrieben? Und von wem? Eine neuerliche Untersuchung dieses Textes unter Zuhilfenahme moderner Datierungsmethoden
– ein Versuch, der bislang noch nicht unternommen wurde – könnte interessante neue Erkenntnisse erbringen.
|558| Daß Johanna in zeitgenössischen kirchlichen Dokumenten nicht erscheint, kann schwerlich verwundern. Die römischen Kleriker
der damaligen Zeit hätten vor Entsetzen über die gewaltige Täuschung, der sie zum Opfer gefallen waren, zu allen Mitteln gegriffen,
sämtliche schriftlichen Berichte über diese peinliche Episode zu verbergen. Sie
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