Die Päpstin
geben
. Der Gedanke verlieh ihr neue Kraft.
Hrotrud gelangte auf eine Lichtung. Dicht voraus konnte sie die konturlosen Umrisse einer großen Hütte sehen: das Grubenhaus
des Dorfpriesters. Hier, auf der Lichtung, lag der Schnee höher, da nun das schützende Dach fehlte, das die Bäume gebildet
hatten. Doch Hrotrud kämpfte sich unbeirrt weiter, wühlte sich mit ihren kräftigen Schenkeln und Armen voran, von der Gewißheit
erfüllt, bald in Sicherheit zu sein.
An der Tür angelangt, klopfte sie einmal; dann trat sie unaufgefordert ein, ohne zu warten. Es war zu kalt, um auf standesgemäße
Höflichkeiten Rücksicht zu nehmen. Dann stand sie blinzelnd in der Dunkelheit des Raumes. Das einzige Fenster des Grubenhauses
war der Winterkälte wegen mit Brettern vernagelt, und das einzige Licht stammte vom Herdfeuer sowie mehreren rauchenden Talglichtern,
die an verschiedenen Stellen standen. Nach kurzer Zeit gewöhnten Hrotruds Augen sich an das Licht, und sie sah zwei Jungen,
die in der Nähe des Herdfeuers beieinander saßen.
»Ist das Kind schon da?« fragte sie.
»Noch nicht«, antwortete der ältere der beiden Jungen.
Hrotrud murmelte ein kurzes Dankgebet an den heiligen Kosmas, den Schutzpatron der Hebammen. Mehr als einmal war sie um ihre
Bezahlung betrogen worden, weil das Kind ein bißchen zu früh gekommen war, so daß sie ohne einen
denarius
für all die Mühe, die sie auf sich genommen hatte, wieder nach Hause gehen mußte.
Am Herdfeuer wickelte sie sich die gefrorenen Lappen von Händen und Füßen und stieß einen erschreckten Schrei aus, als sie
die kränkliche, blauweiße Farbe der Haut sah.
Heilige Mutter, laß nicht zu, daß der Frost mir die Hände und Füße nimmt
. Für eine verkrüppelte Hebamme hatten die Dorfbewohner nur noch wenig Verwendung. Elias, der Schuhmacher, hatte auf diese
Weise seinen Broterwerb verloren. Auf dem Rückweg von Mainz war er von einem Schneesturm überrascht worden. Seine Fingerkuppen
waren binnen einer Woche schwarz geworden und dann abgefallen. Seither kauerte er halb verhungert und zerlumpt neben den Kirchentüren
und erbettelte sich sein tägliches Brot von mildtätigen Mitmenschen.
|8| Hrotrud schüttelte zornig den Kopf, als sie nun ihre tauben Finger und Zehen rieb und massierte, wobei die beiden Jungen ihr
schweigend zuschauten. Der Anblick der Knaben erfüllte Hrotrud mit Zuversicht.
Es wird eine leichte Geburt
, sagte sie sich und versuchte, die Gedanken an den armen Elias zu vertreiben.
Schließlich habe ich Gudrun schon von diesen beiden Jungen entbunden, ohne daß es Probleme gab.
Der ältere mußte jetzt beinahe sechs Winter zählen; er war ein untersetzter Knabe, auf dessen Gesicht ein Ausdruck wacher
Intelligenz lag. Sein jüngerer, pausbäckiger, dreijähriger Bruder schaukelte vor und zurück, wobei er mißmutig am Daumen lutschte.
Beide Jungen besaßen den dunklen Teint und das fast schwarze Haar ihres Vaters; keiner von beiden hatte das außergewöhnliche,
weißgoldene Haar seiner sächsischen Mutter Gudrun geerbt.
Hrotrud konnte sich erinnern, wie die Männer im Dorf Gudruns Haar angestarrt hatten, als der Dorfpriester sie von einer seiner
Missionsreisen nach Sachsen mitbrachte. Zuerst hatte es für ziemlichen Wirbel gesorgt, daß ein Priester sich eine Frau genommen
hatte. Einige Leute sagten, es würde gegen das Gesetz verstoßen; denn der Kaiser habe eine Verordnung erlassen, die es Männern
der Kirche untersagte, sich Frauen zu nehmen. Andere jedoch erklärten, so könne es nicht sein; denn es liege ja auf der Hand,
daß ein Mann ohne Frau allen Arten sündhafter Verlockungen und verderbten Lastern ausgesetzt wäre. Schaut euch die Mönche
von Bobbio an, sagten diese Leute, die mit ihrer Unzucht und ihren Saufgelagen Schande über die Kirche bringen. Und daß der
Dorfpriester ein nüchterner, hart arbeitender Mann war, stand für die Bewohner Ingelheims außer Frage.
Im Zimmer war es warm. Neben der großen Feuerstelle lagen, hoch aufgestapelt, dicke Scheite Birken- und Eichenholz, und in
gewaltigen Schwaden stieg der Rauch zu dem Loch im Strohdach empor. Wenngleich nur eine bessere Hütte, war das Grubenhaus
ein gemütliches Heim. Die Wände bestanden aus festen Holzbalken; die Fugen zwischen den Balken waren mit einer dicken Schicht
aus Stroh und Lehm abgedichtet, die Wind und Kälte draußen hielt. Das einzige Fenster war mit kurzen, dicken Eichenbrettern
vernagelt – eine
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