Die Patin
Spätbewerberin verteidigten, dauerte kaum länger als der Schlussapplaus nach Merkels Rede in Leipzig. So kontrovers die Positionen zur Sozial- und Gesundheitspolitik traditionell waren, sie erschienen wie ein leichtes Spiel, das man mit Bravour beherrscht. Der neue Kampfplatz aber führte die Kontrahenten zusammen: Wer zuletzt kommt, kann nicht auf den höchsten Platz streben. Was zählen dann noch dreißig Jahre Knochenarbeit in einem geordneten Aufstieg bis in ehrenvolle Mandate? Merkels Turbo-Aufstieg erschien den verdienstvollen Ministerpräsidenten mittleren Alters als eine Zumutung. Nach der Euphorie von Leipzig wurde 2004 ein Jahr der Konflikte – die umgehend von den Wählern mit einem steilen Absturz bestraft wurden.
Am meisten überrascht in jenen Turbulenzen, die das Rivalenrudel im Jahr 2004 auf die Spitze treibt, dass die vier Herren aus dem «Andenpakt » 48 konsequent vermeiden, politische und programmatische Einwände gegen Merkels Politikstil vorzutragen. Die seit ihrer politischen Frühzeit miteinander verbundenen Vier werden alle Ministerpräsidenten: Peter Müller im Saarland, Christian Wulff in Niedersachsen, Roland Koch in Hessen und Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen. Alle scheinen entschlossen, sich die Tür zur Merkel-Ablösung denn doch wenigstens halb offen zu halten : Wer weiß, was die Geschichte bringt. Die Auseinandersetzung in der Sache treibt nur Merz auf die Spitze. Er ist es, der wenigstens eine Vokabel aus dem totgeschwiegenen Katalog der Vorwürfe gegen die Parteichefin auf dem Parteitag 2003 in den Saal wirft: «Entsozialdemokratisierung» heißt das Stichwort, das er als Motto für die Parteireform der CDU wählen möchte.
Er kann nicht ahnen, wie aktuell dieses Vorhaben schon ab 2005, dem Starttermin der Koalition mit den Sozialdemokraten hätte werden können – als Immunschutz gegen die Sozialdemokratisierung der CDU, die dann erst richtig in Fahrt kommt. Der Parteitag spürt den Alarmstoff nicht, der in dem Weckruf steckt: ‹Entsozialdemokratisierung›. Das Gegenteil wird schon bald ganz oben auf der Agenda der Parteiengeschichte stehen.
Merkels politisch gut versorgte Kritiker haben ihre eigenen Gründe, ihren Argwohn und ihre Besorgnis zum Thema Merkel auch dem Missverständnis der Presse zu überlassen. Dort heißt es dann immer wieder, es gehe um Eifersüchteleien, enttäuschte Aufstiegshoffnungen und gekränkten Stolz der dominanzgewohnten Männer.
Aber das Schweigen der Männer ist auch Strategie. Die Vorsitzende weiß, dass man sie mit Geringschätzung kommentiert, aber sie kann nicht offen reagieren, solange niemand offen spricht. Roland Koch sah sich jahrelang als potentieller Nachfolger und logischerweise Kanzlerkandidat. Christian Wulff hat sich durch jahrelange Pro-Merkel-Statements auf den zweiten Platz vorgearbeitet. Einhellig ist unter den unruhigen Nachfolge-Aspiranten die Diagnose ‹Führungsschwäche›. Der Vorwurf ist so etwas wie ein Ersatzbefund für viele Aktionen und Nichtaktionen, von denen die Männer sagen: ‹Hätt ich anders gemacht› oder ‹Was will sie damit erreichen?›
Die exotische Komponente in Merkels Handlungsstil durchschlägt auch die Wahrnehmungsgewohnheiten ihrer männlichen Konkurrenten. Die Vorgesetzte bleibt angefochten und ständig auf der Hut; sie taktiert, um ihren persönlichen Stil so weiterfahren zu können, wie sie es als Testfahrerin zwischen den beiden deutschen Lagern gemacht hat. An den Rivalen interessiert sie nur das, was ihr eigener stärkster Impuls ist: der Wille zur Macht. Merkels Machtwille wird nicht gebremst durch irgendein Credo, wie es die Konkurrenten mit sich tragen; Merkels Machtwille IST ihr Credo. Kein Bekenntnis hindert sie.
Die Quelle ihrer Überlegenheit bleibt das, was ihr fehlt: Pathos, Hingabe, Loyalität. Was ab und zu wie Loyalität aussieht, ist kalkuliertes Kopfprodukt: «Den brauch ich noch», lautet das eisige Fazit. Viele inihrem Machtapparat haben das erlebt; wenige gestehen es sich ein, es gibt ja die Faust in der Tasche.
Noch aus der Opposition nutzt Merkel die Bundesratsmehrheit von CDU und FDP, um Horst Köhler zum Bundespräsidenten zu nominieren. Die gemeinsame Kandidatenkür von CDU/CSU und FDP soll ein Signal für die nächste Bundestagswahl sein. Merkel absolvierte gerade ihre marktliberale Testfahrt und war für einen Kandidaten von außen offen. Die Marktwirtschaft hereinzuholen ins Präsidentenamt, das war neu, es sollte durchaus ein Signal der
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