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VON DER M ARKTWIRTSCHAFT
Ideenleasing im CDU-Themenpark: Merkels Ankündigungsdemokratie
Angela Merkels erste Karrierejahre in der Westpolitik können am besten unter dem Motto verstanden werden: Testfahrerin auf dem Gelände der West-CDU. Für die kühle Angela hieß das: Vokabeln lernen. Sie hat den Alien -Faktor, ihre Fremdheit in den Augen der selbstbewussten West-Politiker, intuitiv wahrgenommen und gewusst: Dagegen gibt es nur ein Gegengift – die geschmeidige Attitüde der Lernerden, die mehr großäugig schaut als großspurig redet.
Das Schicksal machte der Fremden Angela gleich zwei Geschenke, die ihrem Image bei den fremden Kollegen aus der Rechthaberwelt einen starken Schub lieferten. Das erste war die unerledigte Vaterbindung der aufstrebenden CDU-Funktionäre, und das zweite waren die Proberunden in der Opposition, die das Mädchen aus Anderland konsequent für ihre Anpassungsstrategie nutzte.
Die Vaterbindung zu knacken, war für die ‹Tochter› mehr eine Sache der Agenda für morgen als eine traumatische Zumutung wie für ihre männlichen Kollegen. Angelas Gewissen war von der Aktion, den Weg freizuschaufeln für die eigene Karriere, schon deshalb nicht belastet, weil sie keine Alternative zur Absetzung des mächtigen Parteichefs sah. Was ‹alternativlos› sei, hat sie mit steigender Macht immer öfter der gesamten Republik erklärt; es war immer das, was man im kleinsten Kreis bereits beschlossen hatte, ohne noch andere fragen zu wollen. Aber die junge Ostpolitikerin kalkulierte ein, dass sie die aufstrebenden Talente der West-CDU und vor allem jene, die im Zwiespalt von Loyalität und feindseligen Gedanken lebten, in ihrer Schuld wissen durfte. Für einige Jahre ersparte ihr das Reibungsverluste bei ihrem schnellen Aufstieg und mäßigte den Groll, mit dem die eingespielten Ämterjäger ihren, AngelaMerkels, Schnelldurchgang zu begehrten Positionen in der Hierarchie begleiteten. Die schlimme Tat, zu der jedem ihrer Kollegen der Mut fehlte, machte das System Westpartei für Angela Merkel über Jahre durchlässiger als für jeden andern.
Ob sie überhaupt ihren relativ störungsfreien Lauf bis zum Parteivorsitz und wenig später zur Fraktionsführung und in die Kanzlerkandidatur geschafft hätte, wenn sie nicht von befangenen potentiellen Vatermördern umgeben gewesen wäre, die jeden Tag wussten: Keiner von uns hätte getan, was sie getan hat; Feiglinge sind wir; wer will es tollkühn nennen, diese Frage zu stellen? Zumindest wäre die Antwort eine Erklärung für vieles, was die Männer in der CDU bis heute mit gemischten Gefühlen und schwankendem Selbstbewusstsein kopfschüttelnd betrachten.
Der Chor der Merkel-Anhänger ist ja längst ein gemischter Chor, der nur angesichts feindlicher Zwischenrufe aus anderen Parteien ins Unisono einschwingt. Überschwang hat die Kollegen für Merkel selten begleitet. Greift eine Frau zur Waffe, die kein Mann vor ihr aufgehoben hat, so bleibt bei den Männern neben der akuten Erleichterung viel Scham zurück: Sie hat unsere Arbeit getan, das heißt auch: Ihr ist eine Menge unerwarteter Aktionen zuzutrauen; sie ist eine gefährliche Frau.
Die Waffe, die alle liegengelassen haben, aufheben: Ehrhart Neubert, ein Ostpolitiker, der Angela Merkel lange kannte, hat zu dieser Szene eine bemerkenswerte Entsprechung geliefert. «Sie hat die Macht, die andere zurückgelassen haben, einfach aufgehoben», 40 sagt er zu Merkels traumwandlerischem Aufbruch ohne erkennbares Ziel nach dem 9. November – als die ersten Helden der Einigung schon wieder in ihren stillen Büros saßen ohne den Hunger nach Macht, als Helden der Freiheit.
Angela brach jetzt auf, nicht vorher, als die andern alle draußen waren, und hob sie auf, die liegengelassene Macht. Weil es diese Geschichte gibt, hat die eben vorgeschlagene andere Geschichte eine hohe Wahrscheinlichkeit: Die Frau, die nach der Waffe greift, die kein Mann berührenwill. Welcher Mann will schon bei solchen Verlierergedanken ertappt werden? Also konnte und kann Angela, inzwischen Kanzlerin, sicher sein, dass keiner ihrer männlichen Kollegen das Thema aufgreifen wird.
In den Testrunden von 1998 bis 2002 und nach der erneut verlorenen Wahl bis 2005 probiert Angela Merkel alle CDU-Klassiker, die sie vorfindet, aus – und schickt ein paar Themen in den Probelauf, von dem sie meint, damit könne die CDU Wähler zurück- oder neu hinzugewinnen.
Der Thementest zeigt
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