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Die Pest Zu London

Die Pest Zu London

Titel: Die Pest Zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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werden schien, ging ich gewöhnlich in den Straßen umher, wie es mein Geschäft gerade erforderte; insbesondere begab ich mich für gewöhnlich einmal am Tag, oder jeden zweiten Tag, in die City zu dem Haus meines Bruders, mit dessen Verwaltung er mich betraut hatte, um zu sehen, ob es in Sicherheit war; den Schlüssel trug ich bei mir, und so schaute ich immer hinein und durch alle Räume, ob alles auch beim Rechten war; denn so verwunderlich es klingen mag, daß irgend jemand inmitten eines solchen Unglücks die Rohheit des Herzens besessen haben soll, zu rauben und zu stehlen, so sicher ist es, daß damals alle Arten von Schurkereien in der Stadt begangen wurden, sogar Zügellosigkeiten und Unzucht, und ebenso unverschämt wie je, nur vielleicht nicht ganz so häufig, weil eben die Zahl der Leute in jedem Betracht sehr zurückgegangen war.
Nun jedoch begann auch für die City die Heimsuchung, ich meine für die Stadt innerhalb der Mauern; aber dort war die Zahl der Einwohner ganz besonders stark gesunken, da solche Mengen von ihnen aufs Land gegangen waren; und sogar noch den ganzen Juli hindurch hörten sie nicht auf hinauszuströmen, wenn auch nicht in solchen Mengen wie vordem. Im August indessen nahm die Flucht aus der Stadt solche Formen an, daß ich zu glauben begann, es werde bald wirklich außer Behörden und Dienern niemand mehr in der City übrigbleiben.
Wie sie aus der Innenstadt abrückten, so war auch, und das sollte ich nicht zu erwähnen vergessen, der Hof schon früher, nämlich im Juni, nach Oxford umgezogen, wo es Gott gefiel, sie alle am Leben zu erhalten; die Seuche hat keinen von ihnen auch nur berührt, wofür sie meines Wissens allerdings keinerlei Zeichen von Dankbarkeit an den Tag legten, und kaum irgendeinen Ansatz zur Besserung, obwohl man ihnen deutlich genug zu verstehen gegeben hat, daß ihre himmelschreienden Laster, das kann man ohne die Nächstenliebe zu verletzen sagen, ein gutes Teil dazu beigetragen haben, dieses schreckliche Strafgericht auf die ganze Nation herabzuziehen.
Das Antlitz Londons hatte sich nun in der Tat befremdlich verändert, ich will sagen, die Gesamtheit aller Gebäude, der City, der Stadtfreiheit, der Vororte, Westminsters, Southwarks, alles zusammen genommen zeigte es eine Veränderung; was den besonderen Teil angeht, der die City oder die Innenstadt heißt, so war dort nicht so viel geschehen; aber der Gesamteindruck war anders als vorher. Kummer und Sorge standen in jedem Gesicht geschrieben; auch dort, wo man noch weniger betroffen war, zeigte man sich tief bekümmert; und da wir alles ganz deutlich kommen sahen, mußte jeder sich und seine Familie als in äußerster Gefahr betrachten. Wäre es möglich, denen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, alles genau zu schildern und dem Leser einen gehörigen Begriff von dem Entsetzen zu geben, das sich überall kundtat, es würde einen sehr tiefen Eindruck hinterlassen und alle Vorstellungen übertreffen. Man konnte wohl sagen, daß ganz London in Tränen war; die Trauer ließ sich freilich nicht auf der Straße sehen, denn niemand ging in Trauerkleidern oder legte Schwarz an, auch für den nächsten Freund nicht; aber die Stimme der Trauer konnte man fürwahr auf der Straße hören. Aus den Fenstern und Türen der Häuser, wo ihre liebsten Angehörigen wohl im Sterben lagen oder eben gestorben waren, hörten wir, wenn wir durch die Straßen gingen, so häufig die Schreie der Frauen und Kinder, daß es auch dem Allergefühllosesten das Herz durchdringen mußte, es mitanzuhören. Tränen und Wehklagen waren beinahe in jedem Hause daheim, besonders am Anfang der Heimsuchung; denn gegen Ende waren die Herzen der Menschen abgestumpft, und der Tod stand ihnen so allgegenwärtig vor Augen, daß der Verlust ihrer Freunde sie nicht mehr so bekümmerte, rechneten sie doch damit, daß sie selbst in der nächsten Stunde abgerufen würden.
Meine Geschäfte führten mich bisweilen in die andere Hälfte der Stadt hinüber, auch schon als die Krankheit vornehmlich dort herrschte; und da es für mich etwas Neues war, wie ja für alle anderen auch, konnte ich es gar nicht fassen, daß diese Straßen, die für gewöhnlich so belebt waren, nun so ausgestorben dalagen und so wenige Menschen auf ihnen zu sehen waren, daß, wenn ich ein Fremder gewesen wäre und den Weg nicht gewußt hätte, ich manchmal eine ganze Straße bis zum Ende hätte hinuntergehen können – eine Nebenstraße jedenfalls
–, ohne jemanden, den ich hätte

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