Die Plastikfresser
Vorderdeck der H. M. S. Renown, das atomgetriebene Unterseeboot der englischen Kriegsmarine, das mit sechzehn A-3-Polaris-Raketen bestückt war.
Die sechzehn Ladebäume vor den dreizehn Meter langen, in den walförmigen Schiffsrumpf eingelassenen Raketenabschußrohren durchdrangen die schwarzen zwiebelförmigen Konturen des Vorderdecks. Auf dem Deck zwischen den beiden Rohrreihen standen zwei Seeleute und blickten nach oben. Über ihnen hing an einem Kran der dunkelgraue Zylinder einer Polarisrakete, die sich langsam auf eins der offenen Abschußrohre hinuntersenkte. Die Matrosen ließen das Heck der Rakete vorsichtig in die Öffnung gleiten, und langsam bewegte sie sich in den Leib des Unterseeboots hinein.
Anne stand inmitten einer kleinen Gruppe von Journalisten, die sich vor dem windigen Regen schutzsuchend gegen die Brückenkabine drängten. Einer trat neben Anne und stieß sie mit der Schulter an. Er trug einen zerbeulten Hut, ein großer Regentropfen hing ihm von der Nase. Er grinste: »Ich weiß, was du denkst.«
»Deine schmutzige Fantasie läuft schon wieder Amok, Matt«, neckte sie ihn.
Sie sahen zu, wie die beiden Matrosen einen kreisförmigen Plastiküberzug über der Mündung des Abschußrohres befestigten.
»Nun hat sie auch noch ein Jungfernhäutchen«, kicherte er.
»Ein bißchen zu spät«, murmelte sie und wandte sich ab, um den Offizier besser verstehen zu können. Seine Stimme schepperte metallisch durch das Megaphon: »Die Rakete wird vermittels hohen Dampfdruck abgeschossen, der durch eine konventionelle Korditexplosion erzeugt wird. So wird die Rakete gegen die Plastikmembrane getrieben. Die Membrane zerreißt und die Rakete verläßt, von den an Bord befindlichen Zielcomputern gesteuert, das Unterseeboot …«
Während die Stimme weiter schepperte, fragte sich Anne, ob sie sich noch an die genaue Reihenfolge erinnern würde, wenn sie ihren Artikel schreiben mußte, und sie hoffte, daß die offizielle Presseverlautbarung genug Einzelheiten enthielt. Vielleicht ergab sich in der Messe Gelegenheit, einen ersten Entwurf aufzusetzen.
Der Sturm trieb den Regen hart gegen die großen Fenster der Offiziersmesse und verdeckte den grauen Hangar des Unterseebootstützpunkts unten in den Uferbergen. Hier war das Licht angenehm und warm, und rund um die Bar hörte man das sorglose Murmeln der Gespräche. Die Anwesenden waren schlecht sortiert. Die uniformierten Offiziere, die fast unangenehm gepflegt und sauber wirkten, verteilten Drinks an die Journalisten, die alle ein kreisrundes Presseschildchen an ihren Jacken trugen.
Die Stimme eines höheren Offiziers erhob sich über den Stimmenlärm: »Meine Damen und Herren, darf ich einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten …« Die Gespräche erstarben.
»Vielen Dank. Nun, zuerst möchte ich Sie alle herzlich im Unterseebootstützpunkt Gareloch begrüßen. Ich hoffe, Sie haben alles zu sehen bekommen, was Sie sehen wollten.«
Es gab ein paar freundliche Zurufe, der Offizier antwortete darauf; dann sagte er lächelnd: »Die Gesetze über die Geheimhaltungspflicht für Verteidigungsanlagen betreffen nicht die Anlagen hinter der Bar, und ich darf Ihnen, meine Herren, versichern, daß Sie sich auch hier ganz nach Belieben umsehen dürfen.«
Ein Journalist erhob sein Glas und sagte mit gespielter Förmlichkeit: »Gott segne Sie, Herr Gouverneur.«
Der Offizier sprach weiter: »Nun zu dem morgigen Programm. Am Morgen werden wir das Polarisausbildungslager besichtigen – dort besteht allerdings leider Fotografierverbot – und dann war eigentlich geplant, die ›Triton‹ zu besichtigen, den ersten Flugzeugträger der Poseidonklasse der Königlichen Marine. Wie Ihnen bereits mitgeteilt wurde, war das Einlaufen der »Triton« für morgen vorgesehen, aber aufgrund unvorhergesehener Umstände ist es zu einer Verzögerung gekommen, und so werden wir Sie statt dessen einladen, das Trockendock zu besichtigen, in dem die »Resolution« überholt wird. Ja, und dann noch etwas, das Abendessen ist für 17.30 Uhr angesetzt. Vielen Dank, meine Damen und Herren.«
Anne wandte sich an Matt: »Was ist denn da passiert? Sonst sind die doch so pünktlich wie ein Uhrwerk.«
Matt machte ein todernstes Gesicht, seine Augen suchten den Raum nach Hinweisen ab: »Da hast du recht. Wenn es nicht einen verdammt triftigen Grund gäbe, würden sie nie von ihrem Zeitplan abgehen.«
Er sah Anne nachdenklich an: »Da muß wirklich irgendwas passiert sein.«
* *
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