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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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hier, an dieser Kreuzung, geht seine neue Heimat, Corona, in seine alte, Jackson Heights, über. Mitten auf der Straße, genau zwischen diesen beiden Welten, lenkt ein Schwarzer mit silbergrauem Haar den Verkehr. Er trägt eine schlechtsitzende Marineuniform und bläst in eine billige Trillerpfeife. Statt eines Stocks schwenkt er eine leere Wasserflasche, und dennoch gehorchen ihm die Autos, bremsen, wenn er es befiehlt, und beschleunigen, wenn er sie lässt. Er bläst die Pfeife für Alfredo, gibt ihm ein Zeichen, die Straße zu überqueren.
    So, ohne jede rote Ampel, könnte Alfredo Kilometer um Kilometer fahren, den Fuß durchgehend auf dem Gas. Er könnte einfach aus New York raus- und in ein neues Leben in einem anderen Bundesstaat hineinfahren, einem Staat mit Strom. Nicht, dass er fahren kann. Geschweige denn ein Auto hätte.
    Als er die Straße überquert, kommt er nah genug an dem Ex-Marine vorbei, um die Flecken an seinem Ärmel zu sehen. Er fragt den Typen, was los sei – Was ist denn hier passiert? –, und die Antwort ist simpel.
    »Ende der Welt.«
    Alfredo marschiert nach Jackson Heights hinein. Die Leute, an denen er vorbeikommt – die Gassigeher, die Metzger vor ihren Läden, die Dominikaner auf ihren Milchkisten –, sie alle lächeln und nicken, so als wollten sie sagen, Jetzt ist es wieder so weit. Seit knapp zwei Jahren haben sie auf etwas in der Art gewartet. Und jetzt, wo es da ist, in Form eines Blackouts ihnen die Leselampen ausknipst, die Telenovelas und Subwaylinien stoppt, suchen die New Yorker bei einer ihrer ältesten Bewältigungsstrategien Zuflucht: aggressive Gleichgültigkeit. Zucken mit den Schultern. Lächeln und nicken. Wenn die Apokalypse naht, die Himmelspforte sich auftut und dahinter der Thron Gottes wie Jaspis funkelnd erscheint, während die sieben Engel in sieben Posaunen blasen und das Höllenfeuer die Armeen des Teufels umzüngelt, werden die guten Bürger New Yorks die Köpfe aus den Fenstern stecken und sagen, Na und?
    »Du musst viel Wasser trinken«, rät ihm eine alte weiße Frau. Sie kommt aus dem Supermarkt, schiebt ihren Einkaufswagen vor sich her und riecht streng nach Essig. Sie legt ihm ihre trockene Hand auf den Arm. »Bei der Hitze«, sagt sie und schüttelt betrübt den Kopf, »sollte man besser nicht dehydrieren.«
    »Wissen Sie, was los ist?«, fragt er.
    »Was ist denn los?«, sagt sie.
    »Nein, ich frage. Was hier los ist. Was mit dem Strom passiert ist?«
    »Keinen blassen Schimmer«, sagt sie. Sie deutet mit dem Kopf hinter sich, in Richtung Manhattan. »Aber ich weiß, dass er weg ist. Überall. Sogar in der Stadt. Und dass Sie viel Wasser trinken sollten.«
    »Mach ich«, sagt Alfredo. »Versprochen.« Ein bisschen liebt er diese alte Dame, würde sie gern nach Hause begleiten, sicherstellen, dass sie heil dort ankommt, aber er ist sich dessen bewusst, dass er sie, wenn er ihr das anböte, unter Umständen bloß in Angst und Schrecken versetzen würde. Er läuft weiter. Er denkt an den armen Brian Schwartz, das Collegebürschchen, dessen Schicht direkt nach Alfredos Feierabend begonnen hat. Sollte die alte Dame recht haben und der Strom auch in Manhattan weg sein, steckt Brian vielleicht im Aufzug fest, die Hände an die Wand gedrückt. Mannomann, als wär man lebendig begraben.
    Alfredo vermisst seinen Bruder. Das Gefühl überkommt ihn manchmal, permanent eigentlich – Brian Schwartz in einem Aufzug, Jose Batista Jr. auf dem Cavalry Cemetery –, und der Schmerz dessen, das Gewicht, lastet Alfredo auf der Brust wie ein Ziegelstein. Er kann es nicht verhindern. Alfredo vermisst seinen Bruder, trotz allem, und weiß nicht, was das über ihn aussagt.
    Aber, und das ist eigenartig, je weiter er in sein altes Viertel hineinkommt, desto weniger denkt er daran. Ihm ist natürlich klar, dass daran zu denken, nicht daran zu denken, auch ein Darandenken ist, aber Jackson Heights, selbst im Dunkeln, summt vor Ablenkungen.
    Vor ihm steht eine Gruppe Hortkinder in violetten T-Shirts um einen Hydranten herum. Es ist der verlockendste Hydrant im Umkreis mehrerer Kilometer. Ohne Arme, sogar ohne die Contergan-Stummel der üblichen Spezies, sieht er besonders wehrlos aus, beinahe nackt, und doch wird er gut bewacht und bleibt durchgängig abgedreht, da er unverdienterweise von dem mafiaartigen Schutz einer Feuerwache aus roten Ziegeln einen Block entfernt profitiert. Die Shirts der Kinder triefen noch von früheren, weniger kniffligen Aktionen. Ihre Haare sind

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