Baby-Bingo
Carla
Der Wunsch
Ich bin eine Last-Minute-Frau.
Ich bin einfach immer spät dran.
Das fing schon bei meiner Geburt an, bei der ich mir zwei Wochen länger Zeit ließ. Und setzte sich in der Pubertät fort. Während alle anderen auf dem Schulhof schon mit Jungs knutschten, spielte ich noch mit meiner Freundin Gummitwist.
Und auch im Erwachsenenleben laufe ich der Zeit weiter hinterher. Meinen ersten Freund hatte ich mit 18, den ersten festen Job mit 29, und meinen Traummann fand ich erst mit 33. Zu einer Zeit, als sich alle anderen schon wieder scheiden ließen.
Ich bin das Musterbeispiel einer Spätzünderin.
Aber da unsere Lebenserwartung ständig steigt und wir alle uralt werden, kann man heutzutage seine Lebensplanung ja guten Gewissens etwas gelassener angehen.
Wenn ich mein Leben genau betrachte, bin ich nicht nur im Großen und Ganzen spät dran, sondern auch im Alltag. Ich bin die Letzte, die kurz vor Ladenschluss noch schnell in den Supermarkt huscht, während die Kassiererin schon das Geld zählt. Von Kinofilmen fehlen mir grundsätzlich die ersten fünf Minuten. Und auch am Flughafen kennen mittlerweile alle Sicherheitsbeamten meinen Namen, weil ich jedes Mal per Lautsprecher aufgerufen werden muss, mich unverzüglich am Abflug-Gate einzufinden.
Im Laufe der Jahre habe ich mich daran gewöhnt, dass in meinem Leben alles zeitversetzt stattfindet. Und trotzdem dabei ein Vertrauen entwickelt, dass alles immer gut wird. Irgendwann. Eben nur später.
Wie auch mein Kinderwunsch. Er war einfach immer da. Und würde sich, da war ich mir ganz sicher, wie alles andere auch, irgendwann erfüllen. Später.
Wobei ich zugeben muss, dass ich mich immer öfter dabei ertappe, dieses »später« etwas genauer definieren zu wollen. Besonders an einem Tag wie heute. Meinem 38. Geburtstag.
Ich finde ja, dass Geburtstage generell überbewertet werden. Mich machen sie nur sentimental. Und bringen mich auf die merkwürdigsten Gedanken. Denn sie sind der offizielle Beweis, dass ich wieder ein Jahr älter geworden bin. Und die biologische Uhr, die lange so leise wie ein Schweizer Uhrwerk tickte, mittlerweile die Lautstärke einer Turmuhr hat.
Es war nicht so, dass ich keine genauen Pläne von meinem Leben hatte. Im Gegenteil. In meinen Vorstellungen ging ich eigentlich immer davon aus, dass ich mit 30 Jahren längst im Kombi mit Kindersitzen durch die Gegend fahre. Aber dann kam es anders. Die Zeit zwischen 30 und 38 ging unglaublich schnell vorbei. Ich hatte mich eingerichtet in meiner Welt, mit einem interessanten Job, mit Freunden und Reisen, und dachte, für alles andere bleibt noch ewig Zeit.
Und ehrlich gesagt gab es vor Martin auch keinen Mann, mit dem ich mir ernsthaft hätte vorstellen können, ein Kind zu bekommen.
»Du kannst jetzt kommen«, ruft Martin von unten.
Wir sind über meinen Geburtstag in die Toskana gefahren. In das alte Bauernhaus, das der Vater meiner besten Freundin Marie zu Beginn der Siebzigerjahre gekauft hat. Es liegt inmitten von Weinbergen bei San Gimignano. Unzählige Sommer haben Marie und ich hier verbracht. Am Anfang mit ihren Eltern, später auch alleine. Wir haben zusammen geheult, weil wir die Hundebabys vom Nachbarbauern nicht mit nach Deutschland nehmen durften. Und später, weil wir auch die Nachbarjungs, in die wir so unsterblich verknallt waren, am Ende der Ferien zurücklassen mussten. Wir haben als Kinder über Witze gelacht, die nur wir verstanden. Und später über den eitlen Carabiniere, der sich nach uns umdrehte, dabei über eine Stufe stolperte und seine Mütze verlor.
Marie und ich, wir schworen uns Treue bis ans Lebensende und malten uns stundenlang aus, wie wir später gemeinsam mit unseren Hunden, Männern und Kindern den Urlaub hier verbringen würden.
Na, zu einem Mann habe ich es mittlerweile wenigstens schon gebracht. Immerhin.
Und der wird nun langsam ungeduldig.
»Wann kommst du denn endlich?«, ruft Martin.
Ich höre, wie Geschirr klappert, es duftet nach Kaffee und frisch geröstetem Toast. Es ist eines unserer Rituale, dem anderen an seinem Geburtstag das Frühstück zu machen.
»Gib mir noch fünf Minuten«, antworte ich.
Wir haben in Maries Zimmer übernachtet, und ich mache gerade eine Zeitreise. Im Slip. Denn ich bin gerade wieder mitten in meiner Pubertät gelandet und davon so fasziniert, dass ich doch glatt vergessen habe, mich anzuziehen.
Das Zimmer ist seit zwanzig Jahren fast unverändert ge blieben. Meine Güte, was für eine
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