Die Puppenmacherin: Psychothriller (German Edition)
Puppe brechen, Josie, hörst du?«
»Meine Puppen sind nicht niedlich«, hatte sie entgegnet, »sie sind ernst, verträumt, manche sogar verstört, sie leben in ihrer eigenen Welt.«
Aber was verstand Milan schon davon. Milan war mit Horrorfilmen groß geworden. Er hatte ihr hoch und heilig versprechen müssen, niemals auch nur einen einzigen in ihrer Gegenwart anzuschauen.
Mühsam arbeitete sie sich durch die Sitzreihe vor. Die Zuschauer reagierten mit verhaltenem Murren, manche zogen nicht einmal ihre Beine weg.
Als sie schon fast am Ende der Reihe angelangt war, zuckte grelles Licht von der Leinwand auf. Das war die Stelle, an der eines der riesigen Augen der Spinne einen Blick auf die Puppe warf.
Plötzlich war ihr, als würde jemand aus der vorletzten Reihe zu ihr hinstarren. Als sie den Kopf in seine Richtung wandte, bemerkte sie sein Grinsen, aber schon kurz darauf tauchte sein Gesicht in der Dunkelheit wieder ab.
Das mechanische Surren der Instrumente war zu hören. Gleich würde sich das Spinnenwesen über die Puppe hermachen. Sie wollte es nicht sehen. Sie musste weg sein, noch bevor es begann. Sie riss die Saaltür auf und flüchtete sich ins Foyer.
Das Moviemento war ein kleines Kreuzberger Programmkino, der Filmvorführer war gleichzeitig Kartenabreißer und musste Popcorn und Getränke verkaufen. Niemand war mehr an der Kasse.
Sie folgte dem Schild hin zu den Toiletten, öffnete die Tür zum Vorraum und schloss sich in einer Kabine ein. Hastig nahm sie das Medikamentendöschen aus ihrer Handtasche und schluckte eine Tablette hinunter. Es war ein angstlösendes Mittel, von ihrer Ärztin verschrieben. Eigentlich sollte sie dreimal täglich eine nehmen, heute war es schon die vierte.
Sie atmete tief durch. Diese Spinne, dachte sie. Sie hätte sich niemals von ihm überreden lassen sollen, dieses grässliche Tier zu kreieren, das dann auch noch über eine ihrer Lieblingspuppen herfallen würde, eine Puppe, die sie selbst darstellte. Was dachte er sich überhaupt dabei?
Ihre Hände hatten sich ineinander verkrampft. Sie starrte auf ihre rotunterlaufenen Fingerknöchel.
Was würde nur ihre Ärztin von dem Film halten? Josie hatte sie eingeladen. Vielleicht war sie ja tatsächlich noch gekommen und saß im Publikum.
Entspann dich, dachte sie, versuch es wenigstens.
Da hörte sie ein Geräusch. Die Tür zum Toilettenraum wurde geöffnete, jemand kam herein. Ihr Herz hämmerte. Neben ihr wurden die Kabinentüren aufgeklinkt, eine nach der anderen. Die Schritte kamen näher, dumpf und schwer. Waren das die Schritte eines Mannes? Sie lauschte. Kein Zweifel, das war ein Mann. Sie vergewisserte sich, dass sie abgeschlossen hatte, umklammerte den schmierigen Riegel. Und dann wurde die Klinke zu ihrer Kabine heruntergedrückt. Was sollte sie nur tun?
»Weg, weg!«, stammelte sie und presste sich gegen die Tür.
Er würde in die Nachbarkabine gehen und dort auf das Toilettenbecken steigen, um sich an der Wand hochzuziehen. Josie war, als müsste jeden Augenblick sein Kopf über ihr auftauchen. Und dann würde er auf sie herabschauen, und sie hätte seine gierige Fratze vor sich. Sie wollte sich in einer Ecke zusammenkauern und die Hände über den Kopf schlagen, aber sie musste an der Tür bleiben, sie musste sich wehren.
»Nein«, rief sie. »Nein!«
Mit einem Mal fragte jemand leise: »Josie?«
»Weg!«
Der Kerl aber sagte wieder ihren Namen.
»Ich bin es doch, Josie!«
Sie atmete schwer, zitterte am ganzen Körper.
Es dauerte einen Moment, bis sie endlich begriff.
»Milan?«
Der Mann vor der Tür schwieg.
Dann hörte sie ihn fragen: »Ist alles in Ordnung bei dir?«
Tatsächlich, es war seine Stimme. Aber warum musste er sie so erschrecken?
»Was hast du hier zu suchen, Milan?«, stieß sie hervor.
»Ich dachte, du bist –.«
»Was?«
»Ich wollte nach dir schauen, ich –. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«
»Das ist ein Damenklo, ja?«
Ihre Stimme überschlug sich. Sie presste sich noch immer gegen die Kabinentür. Da spürte sie, wie sich sein Griff lockerte, die Klinke schnellte zurück. Er schien eine Weile unschlüssig dazustehen. Keiner sagte ein Wort. Dann entschuldigte er sich leise, sie hörte, wie er sich entfernte. Im Vorraum wurde die Tür geöffnet und fiel wieder ins Schloss.
Sie war allein.
Doch das Zittern ließ sie nicht mehr los.
Trojan hielt vor seiner Haustür in der Forsterstraße, schloss auf und schob das Rad in den Hof. Gleich darauf ging er
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