Frau Bengtsson geht zum Teufel
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Teil eins
Zwischen zwei Dienstagen
2
Z u ihrem großen Verdruss war der Tag, an dem Frau Bengtsson starb, ein stinknormaler Tag.
Sie hatte weder das Rauchen ganz aufgegeben noch die Welt gerettet noch irgendwelche Erfindungen gemacht, die der Menschheit das Leben erleichterten. Nicht einmal großartig gesündigt hatte sie an jenem Tag.
Ohne dass irgendetwas von Bedeutung geschehen wäre, ging Frau Bengtsson von dannen.
Ihr Mann, Herr Bengtsson, behauptete freilich noch lange danach, dass sie überhaupt nicht gestorben sei, und ob sie sich jetzt bitte abregen könne, damit er in Ruhe Zeitung lesen könne?
»Warum fällt es dir so schwer, mir aktiv zuzuhören, Liebling? Ich könnte genauso gut hier stehen und sagen, dass ich dich heute Abend verlasse, und du würdest kaum von deinen Sportseiten aufblicken, stimmt’s?« Im Grunde erwartete sie keine Antwort. Sie stand im Flur, musterte ihr Spiegelbild und redete um die Ecke in Richtung Wohnzimmer. Man konnte denken, dass sie sich kaum selbst zuhörte.
Gestorben, das war sie am Dienstag.
Herr Bengtsson, der fand, dass seine Frau ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel nichts Weltbewegendes mehr gesagt hatte, antwortete mit einem routinierten »Mhm«. Es sollte klingen, als würde er sich mit ihr unterhalten, während er geistesabwesend in der Freitagsbeilage blätterte. Wahrscheinlich war es wieder eine ihrer fixen Ideen: Kunstmalerei, Keramik, Kalligraphie. Merkwürdig, dass sie alle mit K begannen. Sogar auf dieses Thema traf es zu.
Sie dachte an Kosmetika.
Frau Bengtsson nahm eine Pinzette und rupfte mit geübter Hand die kleinen Stoppel zwischen den Augenbrauen aus.
»Liebling?«
»Mmm?«
»Wenn ich nicht zurück zu den Lebenden gekommen wäre, hättest du dich darum gekümmert, dass der Bestattungsunternehmer mich so schminkt, wie ich es selbst tue? Sorgfältig?«
»Natürlich.«
Das Thema war ihr wichtig, und auch wenn Herr Bengtsson es nicht merkte, wusste seine Frau sehr wohl, wann er ihr zuhörte und wann nicht. Bloß spielte es meist keine Rolle. Meist reichte ihr sein Mhm und Aha, weil sie mehr mit sich selbst redete. Heute jedoch nicht!
Sie wühlte in ihrem rosa Necessaire, dann ging sie mit einer Handvoll Schminke ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen Schoß.
»Hör zu, Liebling, das ist wichtig für mich. Schau!« Unter ihrem Gewicht war seine Zeitung hoffnungslos zerknittert. Natürlich liebte er seine Frau noch immer, auf eine ausgeglichene und vernünftige Weise, also seufzte Herr Bengtsson tief und hörte zu.
»Hier«, sagte sie und zeigte ihm einen braunen, mit einem goldenen Ornament verzierten zylinderförmigen Gegenstand, »ist der Lippenstift, den ich immer zu Partys auftrage oder wenn du von der Arbeit kommst und ich besonders auf dich gewartet habe.«
Er lachte und legte die Arme um ihre Beine; in dem Fall wusste er, welchen sie meinte … den rosafarbenen wahrscheinlich. Den mit den glitzernden Körnchen, der ihre Lippen feucht und füllig aussehen ließ. Lebensgefährlich. Wenn sie ihn auftrug, erinnerte sie ihn an eine mystische Urlaubsliebe aus dem Osten. Leider hatte sie keine Ahnung von der poetischen Ader ihres Ehemannes. Er war gelinde gesagt nicht der Beste im Vermitteln solcher Dinge.
»Mmm, dein sexy Lippenstift«, sagte er, küsste die Hand, in der sie ihn hielt, und spürte, dass es gar nicht so dumm gewesen wäre, wenn sie ihn in diesem Moment aufgetragen hätte.
Frau Bengtsson war entsetzt.
»Bist du total verrückt? Hier sitze ich und versuche, ernsthaft über mein Begräbnis zu reden, falls ich vor dir sterbe, und du willst Sex!? Du bist unmöglich!«
Bei diesem Ton brauchte er sich keine Hoffnung zu machen. »Entschuldige«, sagte er verzagt. »Sprich weiter.«
»Ja, also: Ich würde vor Scham sterben, äh …« Sie kicherte. »Ich meine natürlich, mein
Geist
würde vor Scham in Ohnmacht fallen, wenn ich im Sarg läge und so ein Bestattungsunternehmer mir nuttiges Rot oder, Gott bewahre, Orange auftragen würde. Du sollst dafür sorgen, dass sie meine Schminke benutzen und keine Billigschmiere für Leichen. Wenn du mich überlebst. Schau hier, mein Mascara …« Seine Aufmerksamkeit ließ bereits deutlich nach.
Das war an sich nichts Neues. Neunzehn Jahre waren sie nun verheiratet, und sie musste immer noch aufschreiben, welches Parfüm er ihr schenken sollte, und das, obwohl sie sich seit ihrer Jugend immer dieselbe Marke wünschte. Eigentlich seltsam, dass er den Namen nicht behalten
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