Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
Wort
„Mörder! Mörder! Mörder!“
Ich glaubte zu ersticken und schrie aus vollem Halse gegen meine Angst an. Dann begann ich vor Erschöpfung zu schluchzen und zu weinen. Ich konnte mich völlig gehen lassen, denn hier oben sah und hörte mich keiner. Der Druck in meiner Brust, den ich nun seit Monaten verspürt hatte, ließ endlich nach. Plötzlich überfiel mich eine ungewohnte Zuversicht, dass alles gut werde. Ich würde dem Chef meine Geschichte erzählen. Er sollte entscheiden, ob er die Polizei einschalten wolle oder nicht. Schließlich geriet seine Klinik durch einen Mord in Verruf. Ich könnte ihm einen Deal anbieten, indem ich ihm vorschlug zu kündigen, denn ich wollte ja sowieso ausscheiden. Kurt musste akzeptieren, dass ich nicht noch andere Menschen mit ins Unglück ziehen durfte.
Indem ich diese Gedanken hin und her wälzte, war ich triefnass vor Sheilas und Brians Haus angekommen. Bevor ich noch klopfen konnte, hatte Brian die Tür aufgerissen.
„Was hast Du denn gemacht? Du bist völlig durchnässt, Du wirst krank werden.“
Er nahm mir meine Jacke ab, Sheila brachte ein Handtuch, damit ich mein Gesicht trocknete.
„Am besten, Du ziehst Deine nasse Hose aus.“
Sie lief, holte Socken, Pantoffeln und einen Bademantel.
„Hier zieh den über. Deine Hose kann am Kamin trocknen.“
So versorgt setzte ich mich mit den beiden zu Tee und Sheilas legendären Scones mit frischer irischer Butter. Ich war in ausgesprochen heiterer Stimmung und die Beiden bemerkten beglückt, ich sähe viel besser aus als am Tag meiner Ankunft. Sie drucksten ziemlich herum. Ich merkte sehr wohl, dass sie neugierig waren, warum ich alleine hierher gekommen war, mich im Haus verbarrikadierte und ganz klar erkennbar, nicht Urlaub machte. Sie waren verwundert, etwas besorgt und taten taktvoll desinteressiert.
„Wir hoffen, dass mit Dir und Deinem Mann alles in Ordnung ist, wir hatten den Eindruck, dass Du ein wenig unglücklich bist?“
Ich überlegte: wenn ich denn eine Beichte abzulegen gedächte, könnte ich hier schon mal üben. Mich reizte es, die Reaktion der Beiden zu beobachten.
„Ja“, sagte ich, „ich bin sehr unglücklich. Ich habe nämlich einen Menschen umgebracht.“
Was hatte ich erwartet? Moralisches Aufschreien? Vorhaltungen? Entsetzen? Nichts dergleichen.
„Rosi, Du hast einen sehr anstrengenden Beruf“; sagte Sheila.
„Es muss sehr schwer sein, sich für Menschen aufzuopfern, die einem dann wegsterben.“ Brian nickte:
„Der Tod ist nicht immer gleich. Manche Patienten möchte man besonders gern gesund sehen. Muss schlimm sein, wenn man den Kampf verliert.“
Ganz langsam verstand ich, dass sie mir einen Mord nicht zutrauten und glaubten, ich leide, weil ich als Krankenschwester versagt hätte.
„Nein, nein“, rief ich, „ich bin schuld, dass jemand gestorben ist.“
Sie sahen mich voll Mitgefühl an.
„Alle Menschen machen Fehler, auch im Beruf, und auch die verant wortungsvollsten,“ sagte Brian mit tröstender Stimme.
„Ja, ja,“ rief Sheila, „man ist nicht immer gleich gut drauf. Manchmal übersieht man etwas. Das kann vorkommen. Mach Dir deshalb nicht solche Vorwürfe.“
Ich lächelte sie dankbar an für ihre gute Meinung über mich. Sie hatten mich vollkommen missverstanden. Es hatte keinen Zweck, auf dem Thema herumzureiten. Warum auch wollte ich sie unbedingt erschrecken. Ich lobte die Scones und die gute irische Luft und sagte, ich sei sicher, ausgeruht und voller Kraft an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Als ich mich verabschiedete, reichte mir Sheila die Hand und umfasste mit der linken Hand meinen rechten Oberarm.
„Gott wird Dir Stärke geben! Believe me!“
Als ich draußen stand, dachte ich: So kann man es auch machen. Einfach alles verdrängen, was man nicht wahrhaben will, und dann dem lieben Gott die Verantwortung zuschieben. Die Leute nehmen Anteil, aber nur an der Oberfläche, und wollen im Grunde aber nicht belästigt werden. Ach was, sagte ich zu mir, Du bist einfach ungerecht.
Ich hatte mir für 14 Tage Urlaub genommen, aber ich war noch lange nicht mit meinem Bericht fertig. Obwohl ich mich nach Hause sehnte, hatte ich einen Horror vor meiner Rück kehr und vor dem, was auf mich wartete. Hier war ich weit weg von all dem Unangenehmen, das mir bevorstand. Hier fühlte ich mich sicher, wollte nicht zurück, wollte vielmehr diese Zeit so lange es ging genießen. Ich war sicher, ich würde nicht wieder hierher
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