Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
1
W ie konnte es nur passieren, dass ich mich dazu überreden ließ?
Zu zweit hatten die Generalinnen des Hauses No. 27 – Madame Bernard, die Besitzerin, und Madame Rosalette, die Concierge – Monsieur Perdu zwischen ihren gegenüberliegenden Parterrewohnungen in die Zange genommen.
»Dieser Le P. hat seine Frau ja schmählichst behandelt.«
»Schandhaft. Wie die Motte einen Brautschleier.«
»Manchen kann man’s ja nicht verübeln, wenn man sich ihre Gattinnen so anschaut. Eiswürfelmaschinen in Chanel. Aber Männer? Alles Ungeheuer.«
»Meine Damen, ich weiß gerade nicht, was …«
» Sie natürlich nicht, Monsieur Perdu. Sie sind der Kaschmir unter den Stoffen, aus denen Männer gestrickt sind.«
»Jedenfalls, wir bekommen eine neue Mieterin. In den Vierten, das ist ja Ihre Etage, Monsieur.«
»Aber Madame hat nichts mehr. Gar nichts, nur zerschmetterte Illusionen. Sie braucht quasi alles.«
»Und da kommen Sie ins Spiel, Monsieur. Geben Sie, was Sie können. Jede Spende ist willkommen.«
»Natürlich. Ich könnte vielleicht ein gutes Buch …«
»Na ja, wir dachten eher an etwas Praktisches. Einen Tisch zum Beispiel. Madame hat ja –«
»… nichts mehr. Ich verstehe.«
Der Buchhändler wusste zwar nicht, was praktischer sein konnte als ein Buch. Aber er versprach, der neuen Mieterin einen Tisch zu spenden. Einen hatte er ja noch.
Monsieur Perdu steckte seine Krawatte zwischen die oberen Knöpfe seines weißen, energisch gebügelten Hemdes und rollte die Ärmel sorgfältig auf. Nach innen, Umschlag für Umschlag, bis zum Ellbogen. Er fixierte die Bücherwand im Flur. Hinter dem Regal lag ein Zimmer, das er seit einundzwanzig Jahren nicht geöffnet hatte.
Einundzwanzig Jahre und Sommer und Neujahrsmorgen.
Aber in dem Zimmer stand der Tisch.
Er stieß die Luft aus, griff wahllos nach einem Buch und zog Orwells 1984 aus dem Regal. Es fiel nicht auseinander. Es biss ihn auch nicht in die Hand wie eine beleidigte Katze.
Er nahm den nächsten Roman, dann zwei, langte nun mit beiden Händen in das Regal, schaufelte ganze Bücherblöcke heraus und häufte sie neben sich auf.
Aus den Stapeln wurden Bäume. Türme. Zauberberge.
Er sah auf das letzte Buch in seiner Hand: Als die Uhr dreizehn schlug. Ein Zeitreise-Märchen.
Wenn er an Omen geglaubt hätte, wäre das jetzt ein Zeichen gewesen.
Er schlug mit den Fäusten unter die Bretter, um sie aus den Halterungen zu lösen. Dann trat er einen Schritt zurück.
Da. Dort schälte sie sich hervor. Hinter der Mauer aus Wörtern. Die Tür zu dem Zimmer, in dem …
Ich könnte doch einfach einen Tisch kaufen?
Monsieur Perdu strich sich über den Mund. Ja. Die Bücher abstauben, wieder einräumen, die Tür vergessen. Einen Tisch kaufen, einfach so weitermachen wie die letzten zwei Jahrzehnte. In zwanzig Jahren wäre er siebzig, und von dort aus würde er den Rest auch noch hinbekommen, vielleicht starb er ja früh.
Feigling.
Er schloss seine bebende Faust um die Drehklinke.
Langsam öffnete der große Mann die Tür. Er stieß sie sachte nach innen auf, kniff die Augen zusammen und …
Nur Mondlicht und trockene Luft. Er sog sie durch die Nase ein, forschte, fand aber nichts.
Der Geruch von *** ist verschwunden.
Monsieur Perdu war in einundzwanzig Sommern so geschickt darin geworden, um *** herumzudenken, wie er um einen offenen Gullydeckel herumgehen würde.
Er dachte ihren Namen am häufigsten als ***. Als Schweigen im Summton seines Gedankenflusses, als Weißraum in den Bildern der Vergangenheit, als Dunkelheit inmitten der Gefühle. Er vermochte alle Sorten Lücken zu denken.
Monsieur Perdu sah sich um. Wie still das Zimmer wirkte. Und trotz der lavendelblauen Tapeten blass. Die Jahre hinter der verschlossenen Tür hatten die Farbe aus den Wänden gepresst.
Das Licht aus dem Flur fand nur wenig, was einen Schatten warf. Ein Bistrostuhl. Der Küchentisch. Eine Vase mit vor über zwei Jahrzehnten auf der Ebene von Valensole geklautem Lavendel. Und einen fünfzigjährigen Mann, der sich nun auf den Stuhl setzte und die Arme um sich selbst schlang.
Da drüben waren Vorhänge gewesen. Dort Bilder, Blumen und Bücher, eine Katze namens Castor, die auf dem Diwan schlief. Es hatte Kerzenleuchter und Flüstern gegeben, gefüllte Rotweingläser und Musik. Tanzende Schatten an der Wand, der eine groß, der andere wunderschön.
Es hatte Liebe in diesem Zimmer gegeben.
Nun gibt es nur noch mich.
Er ballte die Fäuste und drückte sie an seine
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