Die Rache des Samurai
Ehepaar, das die Apotheke besitzt«, fuhr Sano fort, »und der Wachposten, der …«
»Habt Ihr von ihnen eine Beschreibung des Mörders bekommen?« unterbrach Yanagisawa ihn.
»Nein, ehrenwerter Kammerherr, leider nicht. Ich …« Erneut dazu gezwungen, eine – wenn auch unverschuldete – Niederlage einzugestehen, vergaß Sano, was er als nächstes hatte sagen wollen. Seine Unruhe wuchs.
»Hmmm«, machte Yanagisawa, und in seiner Stimme lagen Mißbilligung, Zorn und Zufriedenheit.
Plötzlich erinnerte Sano sich an den Blick, mit dem der Kammerherr ihn an diesem Morgen bedacht und aus dem eine unerklärbare Feindseligkeit gesprochen hatte. Nun hatte es den Anschein, als würde Yanagisawa sich auch entsprechend feindselig verhalten. Daß Sano sich noch immer nicht erklären konnte, wodurch er sich die Feindschaft des Kammerherrn zugezogen hatte, brachte ihn in eine äußerst benachteiligte Lage. Und da die Etikette ihm untersagte, eine Erklärung von Yanagisawa zu verlangen und der Kammerherr wiederum nicht verpflichtet war, sie zu liefern – wie konnte Sano da erfahren, welchen Fehler er begangen hatte, um ihn wettzumachen?
»Ich habe herausgefunden, daß Kaibara häufig das Apothekerviertel besucht hat«, sagte Sano und bemühte sich, seiner Stimme einen zuversichtlichen, festen Klang zu verleihen. »Es besteht die Möglichkeit, daß der Mörder ein Feind Kaibaras ist, der die Gewohnheiten seines Opfers kannte und ihm aufgelauert hat.«
»Kann sein«, gab Yanagisawa widerwillig zu. Tsunayoshi, der bis jetzt in Gedanken versunken war, blickte auf. Sanos Hoffnung stieg. Dann aber sagte Yanagisawa: »Ich nehme an, Ihr könnt Beweise vorbringen, um dieses … Szenario zu untermauern?« Diese Hirngespinste, besagten sein Tonfall und sein Stocken.
Diesmal hatte Sano nicht die Absicht, sich vom Kammerherrn erneut zu der verhaßten Antwort ›nein‹ bringen zu lassen. »Morgen, wenn ich die Kaibara aufsuche …«
»Wollt Ihr damit etwa sagen, Ihr seid noch nicht bei der Familie des Opfers gewesen?« Verwundert hob der Kammerherr die Stimme, und seine Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln. »Also wirklich, sōsakan , ich fürchte, Ihr bastelt Euch da eine Theorie zusammen, die von keinerlei Tatsachen gestützt wird.«
Sano wehrte sich gegen eine aufsteigende Woge des Zorns und der Verwirrung. Weshalb legte Yanagisawa ihm ständig Steine in den Weg? Sanos Bedrückung wuchs sogar noch, als er sah, daß Yanagisawa und Tsunayoshi wieder einen Blick wechselten, aus dem diesmal völlige Übereinstimmung sprach. Dieser Mann ist ein Dummkopf, besagte Yanagisawas Kopfschütteln, und in Tsunayoshis reumütigem Achselzucken und Lächeln lag die Antwort: Wahrscheinlich hast du recht.
Sano erkannte, daß er rasch etwas unternehmen mußte, um wenigstens einen Rest der Wertschätzung zu retten, die der Shōgun für ihn hegte. »Als ich in der Leichenhalle von Edo die Überreste Kaibaras untersuchte«, sprudelte er hervor, »habe ich entdeckt …«
»Die Leichenhalle!« Yanagisawas entsetzter Ausruf unterbrach Sano. »Wie konntet Ihr nur diesen Ort des Todes aufsuchen … und es dann auch noch im Beisein Seiner Hoheit erwähnen!« Er wandte sich dem Shōgun zu. »Bitte, verzeiht diesem Mann sein Vergehen. Zweifellos sind seine Herkunft und seine Erziehung für diesen bedauerlichen Mangel an Urteilsfähigkeit verantwortlich und nicht er selbst.«
Yanagisawa trug diese Bitte um Verständnis für Sanos Fehler mit einem raschen, eisigen Blick vor, der bewies, daß er es nicht ehrlich meinte und daß er Sano und dessen Familie absichtlich herabgesetzt hatte. Hilfloser Zorn loderte in Sano auf. Er haßte Yanagisawa dafür, daß er ihn so geschickt ins Unrecht gesetzt hatte.
Sanos Kehle war wie zugeschnürt, als er sich an den Shōgun wandte und hervorpreßte: »Ich bitte um Vergebung, Hoheit.«
»Gewährt«, murmelte Tsunayoshi geistesabwesend.
Sano wählte seine Worte mit Bedacht, als er fortfuhr: »Ich wollte auch nur berichten, daß ich herausgefunden habe, daß Kaibara nicht das erste Opfer des bundori- Mörders gewesen ist. Bereits vor zehn Tagen wurde ein Mann auf die gleiche Art und Weise getötet.«
Als der Shōgun sich aufsetzte und ihn erstaunt anblickte, wurde Sano von einer Woge der Erleichterung durchflutet. Yanagisawas Nasenflügel bebten, und vor Mißfallen preßte er die schön geschwungenen Lippen zusammen.
»Ich glaube, Hoheit«, fuhr Sano mit Nachdruck fort, da er sich noch der Aufmerksamkeit des
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