Die Rache des Samurai
Überraschung gewesen.
»Wie lange bist du schon bei der Polizei?« fragte er.
»Drei Jahre, sōsakan-sama . Seit mein Vater in den Ruhestand getreten ist. Ich habe mein Amt von ihm übernommen.«
Also war Hirata nicht so unerfahren, wie Sano vermutet hatte. Plötzlich erinnerte er sich an einen Vorfall, der während seiner eigenen, kurzen Dienstzeit bei der Polizei geschehen war, allerdings nicht in dem Bezirk, den Sano geleitet hatte.
»Bist du nicht der dōshin , der diese Bande zerschlagen hat, die auf dem Gemüsemarkt in Nihonbashi Geld von den Händlern erpreßte?« fragte er. Die Bande hatte einen Mann, der nicht zahlen wollte, zu Tode geprügelt, und war der Polizei monatelang immer wieder entkommen.
»Ja, sōsakan-sama .«
In der Dunkelheit konnte Sano die Miene Hiratas nicht erkennen, und der Stimme des jungen dōshin war nicht der leiseste Beiklang von Prahlerei zu entnehmen. Noch neugieriger geworden, fragte Sano: »Gefällt dir deine Arbeit?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Hirata, doch jetzt klang seine Stimme resigniert. »Es ist meine Pflicht, und durch meinen Vater wurde ich hineingeboren.« Er hielt inne. Dann stieß er hervor: »Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber Euch dienen, sōsakan-sama !«
Diese für einen Samurai ungewöhnlich freimütige Äußerung erstaunte Sano. Dann erinnerte er sich an ihre erste Begegnung, als Hirata erklärt hatte, daß es ihm Freude mache, Sano bei den Ermittlungen helfen zu dürfen. »Weil du bessere Aussichten auf Beförderungen hast, wenn du für mich arbeitest?«
Hiratas Decke raschelte. »Nun … ja. Aber das ist nicht der einzige Grund.« Nach einer neuerlichen Pause fuhr er zögernd fort: »Vielleicht wißt Ihr es nicht, sōsakan-sama , aber die Polizei ist nicht so, wie sie sein sollte. Viele andere dōshin nehmen Bestechungsgelder von Verbrechern, die dann als Gegenleistung ungehindert ihren schmutzigen Geschäften nachgehen können. Die Reichen kommen ungestraft davon, während die Armen dem Henker ausgeliefert werden. Manche dōshin sperren sogar Unschuldige ein, nur um irgendeinen Fall abschließen zu können und auf diese Weise ihre Bilanz aufzubessern. Das Gesetz ist bestechlich und ehrlos. Aber Ihr … Ihr seid anders.«
Die tiefe Verehrung, die in Hiratas Stimme mitschwang, erfüllte Sano mit Besorgnis. Obwohl er wußte, daß er sich in seinem neuen Amt irgendwann einmal persönliche Gefolgsleute erwerben mochte, mußte er die enge berufliche und persönliche Bindung, die Hirata anstrebte, im Interesse des jungen Mannes unterbinden.
»Wir arbeiten erst seit drei Tagen zusammen, Hirata«, sagte er. »Du kennst mich doch noch gar nicht.«
»Verzeiht mir meine Vermessenheit, sōsakan-sama !« Wieder erklang das Rascheln, als Hirata sich verbeugte, obwohl die beiden Männer einander nicht sehen konnten. »Aber ich kenne Euren Ruf. Ihr seid ein Mann von Ehre und Anstand, was man von vielen anderen hohen Beamten nicht behaupten kann.« Hiratas Stimme wurde aufgeregt. »Bitte. Falls ich mich als würdig erweise, dann erlaubt mir, mein Leben in Eure Dienste zu stellen!«
Hiratas eindringliche Bitte rührte Sano. Ein solcher Ausdruck der Loyalität einem Vorgesetzten gegenüber erweckte die strenge Schönheit des bushidō zum Leben. Doch die Situation war höchst unglücklich. Falls es ihnen nicht gelang, den bundori- Mörder zu fassen, würde Hirata – als Sanos Untergebener – zusammen mit dem Vorgesetzten bestraft. Das durfte Sano nicht zulassen.
»Dein Angebot ehrt mich sehr, Hirata- san «, sagte er so kühl und förmlich, wie er konnte. »Aber der Shōgun hat vielleicht Pläne mit mir, in die du nicht mit eingeschlossen bist.« Aus Furcht, der hartnäckige Hirata könne beschließen, sein Schicksal im Guten wie im Schlechten zu teilen, redete Sano nicht um den heißen Brei herum. »Du mußt unsere Zusammenarbeit als vorübergehend betrachten.«
Hirata erwiderte nichts, doch seine Enttäuschung und das Gefühl der Demütigung ließen die Stille noch drückender erscheinen. Und daß er Hirata vor einer möglichen, weitaus schlimmeren Verletzung bewahrt hatte, minderte nicht Sanos Schuldgefühle.
Das Verhältnis zwischen den Männern war merklich abgekühlt, so daß kein Gespräch mehr in Gang kam. In ihre Decken gehüllt, saßen sie schweigend da und standen nur hin und wieder auf, um ihre steifen Muskeln zu lockern und nach draußen zu spähen. Träge verging die Zeit. Sanos Hochgefühl ob der Entdeckung des Hauses und der
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