Die Regenbogentruppe (German Edition)
Stipendium zu erhalten, als andere, die sich intellektuell geben, in Wirklichkeit jedoch als Wissenschaftler nach ihrer Examensarbeit nichts mehr zustande bringen und nur noch ihr eigenes Fortkommen betreiben. Ich hätte so gern seinen Namen unter brillanten Artikeln in Fachzeitschriften gelesen. Ich hätte gern überall verbreitet, dass Lintang, der erste indonesische Genetikspezialist, der schon in der Grundschule mit dem Pascal’schen Dreieck operieren konnte sowie die Differenzial- und Integralrechnung beherrschte, ein Schüler der Muhammadiyah war, mein Tischnachbar.
Doch hier saß Lintang, ein magerer Mann, der darauf wartete, dass sein LKW zur nächsten Fahrt aufgerufen wurde. Einer, der seinen Traum, Mathematiker zu werden, hatte aufgeben müssen und stattdessen bei den Bossen einer Quarzsandgrube für einen kümmerlichen Wochenlohn Tag und Nacht schwere Arbeit leistete. Ich dachte daran, wie er für weniger als sieben Sekunden die Augen geschlossen hatte, um dann die Lösung einer komplizierten Matheaufgabe zu nennen, wie er »Jeanne d’Arc« gerufen hatte. Wie er souverän die Szene beim Quiz der Schulen beherrscht und unser Selbstvertrauen gestärkt hatte.
Ich sah mich in der Baracke um. Das Hochzeitsfoto von Lintangs Eltern hing an der Wand. Damals hatte es Lintang nach Tanjung Pandan zum Intelligenzwettbewerb mitgebracht.
Immer wieder hatte ich mir Lintangs Zukunft als erster malaiischer Mathematiker ausgemalt. Doch der Traum war vorbei, hier in dieser armseligen Baracke ohne Türen war mein Isaac Newton gelandet.
»Sei nicht traurig, Ikal. Ich habe immerhin das Versprechen gegenüber meinem Vater gehalten und bin kein Fischer geworden …«
Diese Worte trafen mich ins Herz, ich wurde wütend. So viele intelligente junge Leute waren aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, die Schule abzubrechen. Ich verfluchte all die dummen, arroganten Menschen, die so taten, als wären sie klug, und ich verabscheute die Kinder reicher Eltern, die ihre Chancen mit Füßen traten.
47 Nun folgt der traurigste Teil der Geschichte. Kein Blatt fällt vom Zweig, ohne dass Gott es weiß, und so ist es nicht abwegig, die Gesellschaft der Zinnmine mit dem Turm von Babel zu vergleichen. Bezeichnenderweise wird die aus Bangka und Belitung neu gebildete Provinz Babel genannt, die offizielle Abkürzung von Bangka-Belitung.
Anfang der Neunzigerjahre fiel der Weltmarktpreis für Zinn von 16.000 Dollar pro Tonne auf 5000 Dollar. Die Zinnmine auf Belitung war binnen kürzester Zeit pleite. Die gesamte Produktion musste eingestellt, Zehntausende von Arbeitskräften mussten entlassen werden. Es war die größte Entlassungswelle, die Indonesien je erlebt hatte.
Ohne Vorankündigung brach das Riesenunternehmen, das Hunderte von Jahren die Insel regiert hatte, über Nacht zusammen. Babylon war ein Menetekel, eine Warnung. So wie Gott Babylons Dekadenz bestrafte, so bestrafte Gott Belitungs Arroganz.
Der Weltmarktpreis für Zinn fiel nicht nur wegen der globalen Wirtschaftskrise, sondern weil man Ersatzstoffe für Zinn gefunden hatte. Die Situation verschärfte sich noch dadurch, dass große Vorkommen von Ersatzstoffen in anderen Ländern, wie etwa China, entdeckt wurden. Die Bergbaugesellschaft war am Ende und japste wie ein Goldfisch, der aus dem Aquarium gefallen ist.
Die Regierung in Jakarta hatte jahrelang regelmäßig Milliarden an Steuern und Dividenden empfangen, jetzt aber schien es, als wäre die Insel für sie gar nicht mehr vorhanden. Die Verantwortlichen wandten sich ab, als die Bevölkerung nach Kompensationen für die Ungerechtigkeit der Massenentlassungen rief. Belitung war früher wie durch Millionen von Schirmquallen in hellblaues Licht getaucht gewesen, nun lag es fahl da wie ein Geisterschiff und trieb steuerlos und einsam im Meer dahin.
Am stärksten getroffen waren natürlich die leitenden Angestellten im Gedong. Nicht nur, weil sie von einem Tag auf den anderen ihre Stellung einbüßten und ihr Selbstverständnis zerbrach, sondern weil sie sich so lange in der Mentalität einer durchorganisierten Feudalgesellschaft eingerichtet hatten und nun mit einem Mal in Armut gerieten, ohne von einem Sozialsystem geschützt zu sein.
Während sie bisher zweimal im Jahr in den luxuriösen Gästehäusern auf Java hatten Ferien machen können, mussten sie jetzt Felder bestellen, auf Bäume klettern, Fische fangen, Fallen auslegen, Gräben ausheben, Tiere füttern, tauchen, um ihre Familien zu ernähren.
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