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Haus der Sonne

Haus der Sonne

Titel: Haus der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel Findley
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    Ihr Name - zumindest der, den sie mir nannte - war Sharon Young. Nicht unbedingt schön, aber attraktiv. Ausdrucksstarkes Gesicht mit einem netten, vollen Mund. Scharfe Augen, die Art, denen nicht viel entgeht, in einem umwerfenden Grün. Lange, glatte, schwarze Haare. Und trotz ihrer, wie mir schien, kräftigen Sonnenbräune war sie ein Shadowrunner.
    Natürlich sagte sie mir das nicht. Das gehört zu den Dingen, die man nur denjenigen Leuten auf die Nase bindet, zu denen man absolutes Vertrauen hat. Aber die guten Shadowrunner müssen es auch niemandem auf die Nase binden - sie haben etwas an sich, eine Art zu gehen, eine Art, alle Vorgänge in ihrer Umgebung zu registrieren -, und sie gehörte zu den guten. Sie trug eine locker sitzende Jacke, vermutlich gepanzert, die offenstand, und es dauerte nicht lange, da spielte ich wieder das alte Spiel ›Wo ist die Flak‹. Ich gab es jedoch rasch wieder auf. Unter dieser Jacke war genug Platz, um darin von einer kleinen Hold-Out bis zu einer zurechtgestutzten MP alles unterzubringen. Sie nahm einen Schluck von dem Bier, das sie sich gerade gekauft hatte, und ich sah ein leichtes Stirnrunzeln des Abscheus. Das beförderte sie auf der Montgomery-Skala des Sinns für Ästhetik eine Stufe nach oben. Das einzige, was das Bier in der Buffalo-Jump-Bar davon abhielt, grün auszusehen, war die ungesunde Mischung aus Konservierungsstoffen, künstlichem Farbstoff und Geschmacksverstärkern, die es enthielt.
    Sie stellte das Glas ab. Zeit fürs Geschäft, dachte ich. »Mr. Montgomery«, begann sie.
    »Derek«, korrigierte ich. »Oder Dirk.«
    Sie neigte den Kopf und bedachte mich mit einem knappen Lächeln. »Dirk.« Dann hielt sie wieder inne, wohl um ihre Gedanken zu ordnen und sich darüber klarzuwerden, wieviel sie mir erzählen mußte und womit sie anfangen sollte.
    Unterdessen schaute ich weg - ein Anflug von Höflichkeit, der mir außerdem Gelegenheit gab, mich meiner eigenen Paranoia hinzugeben. Mit einem raschem Rundumblick vergewisserte ich mich, daß uns niemand in der Bar ungebührliche Aufmerksamkeit widmete. Es war ungefähr fünfzehn Uhr - mitten am Nachmittag und in dem Loch zwischen dem Mittagspausengedränge und dem Nachfeierabendansturm. Nach meinem Umzug vor einem Jahr nach Cheyenne hatte ich mit gelinder Überraschung festgestellt, daß die Leute in der Sioux Nation dieselben Bürozeiten hatten wie die in Seattle, nämlich von neun bis siebzehn Uhr. Ich weiß eigentlich nicht, was für Unterschiede ich erwartet hatte... aber ich hatte welche erwartet. Mittlerweile habe ich aber begriffen, daß Städte eben Städte sind - Sara-rimänner bleiben Sararimänner, ob sie Asiaten, UCAS-Amerikaner oder Amerindianer sind.
    Die Salatshow auf der kleinen Bühne war in vollem Gange. Zwei minderjährige Blondinen, die kosmetische Veränderungen erfahren hatten, um wie eineiige Zwillinge auszusehen, trugen auf eine beeindruckend oberflächliche Art zur Kriminalisierung eines Gemüses bei. Niemand schien sich sonderlich dafür zu interessieren, auch nicht die Gäste in der ›Gynäkologenreihe‹ direkt vor der Bühne. Bei der Musikbegleitung - zweitklassiger Glam-Rock, der seit zehn Jahren aus der Mode war -hätte es sich, der Aufmerksamkeit nach zu urteilen, die ihr entgegengebracht wurde, auch um statisches Rauschen handeln können. Die DAT-Aufnahme war schon so oft abgedudelt und abgenudelt worden, daß die häufigen digitalen Aussetzer die Stücke bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten. Plötzlich hatte ich eines dieser Déjà vu -Erlebnisse. Für einen Augenblick war ich nicht mehr im Buffalo Jump, sondern an einem beinahe iden-tischen Ort tausend Kilometer entfernt - im Superdad in den Redmond Barrens...
    Ich schüttelte die Erinnerungen ab und drängte sie wieder in den schwarzen Sumpf meines Unterbewußtseins zurück, wohin sie auch gehörten. Ich war nicht bereit, über Seattle nachzudenken, noch nicht. Mit einiger Anstrengung konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Sharon Young.
    Mittlerweile hatte sich die attraktive Shadowrunnerin überlegt, wie sie ihr Anliegen vorbringen wollte. Mit betonter Bedächtigkeit - um bei ihrem eventuell nervösen Kontakt, das heißt mir, kein Mißtrauen aufkommen zu lassen - griff sie in ihre Tasche und holte zwei kleine Gegenstände heraus, die sie vor mich auf den Tisch legte. Bei dem einen handelte es sich um einen Speicherchip in einer Schutzhülle, bei dem anderen um einen silbernen, beglaubigten Kredstab. Wiederum

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