Die Reise ins Licht
auf wie eine Kerze. Augenblicklich verwandelte er sich in eine riesige, lebende Fackel. Der Sektierer brüllte, rannte durch den Raum hin und her, stieß blind gegen die Wände. Wahnsinnig vor Schmerzen lief er auf die Plattform hinaus, die Brüstung entlang, warf sich im Todeskampf gegen die Mauer, prallte zurück, stürzte über das Geländer und flog als gleißendes Flammenbündel den Leuchtturm hinab.
Der Junge sah dies jedoch nicht mehr. Fast besinnungslos blieb er liegen. Später, als sich sein Bewusstsein etwas aufhellte, fühlte sich sein Körper an wie ein einziger großer, schmerzender Nerv.
Es schien lange zu dauern, bevor es ihm endlich gelang, wieder auf die Beine zu kommen. Gleb kletterte die Treppe hinauf und gelangte mit Mühe auf die Plattform hinaus. Unten auf dem rissigen Asphalt, an der Stelle, wo Ischkaris Körper aufgekommen war, konnte er noch ein Glimmen erkennen. Gleb erschauderte. Die Rache war vollzogen. Er hatte einen tödlichen Feind besiegt. Doch fühlte er aus irgendeinem Grund keine Freude. Und auch seine Wut war auf einmal verschwunden. Allerdings war noch etwas zu tun …
Schwankend humpelte der Junge zu dem Scheinwerfer. Er ließ seinen Blick über die Plattform schweifen, auf der Suche nach etwas Schwerem. Er würde jetzt dieses Ding zerschlagen, es zum Teufel schicken und so einen Schlusspunkt unter die Geschichte vom Licht setzen … Einem Licht, das die Menschen angelockt hatte wie die Motten. Das anstelle von Erlösung nichts als Verderben gebracht hatte. Einem falschem Licht.
Doch ausgerechnet jetzt war nichts Passendes zur Hand. Mit letzter Kraft gelang es dem Jungen, den schweren Dreifuß umzukippen. Der Scheinwerfer stürzte auf die Seite, zerschlug aber nicht. Wie zum Hohn funktionierte der störrische Apparat noch immer und schickte seinen hellen Strahl in den Himmel. Nun allerdings in entgegengesetzter Richtung. Das Lichtbündel strahlte nun irgendwohin in Richtung Ostsee. Gleb blickte den Scheinwerfer erschöpft an. Sollte ihn doch der …
Von unten ertönte ein donnernder Schuss. Apathisch schaute der Junge über die Brüstung, denn er wusste bereits, was er erblicken würde … Genau. Wie er vermutet hatte,
jagten vom Hafen her, in der Dunkelheit kaum erkennbar, einige Kannibalen herbei. Wieder ein Schuss – einer der Schurken stürzte tödlich getroffen zu Boden. Unruhig wandte Gleb seinen Blick in die andere Richtung – dorthin, woher das Geräusch gekommen war. Am Kai schaukelte noch immer die gebrechliche Barkasse auf den Wellen, und auf dem Deck … Der Junge starrte auf die Silhouette des Mannes und wollte seinen Augen nicht trauen. Der Mann winkte ihm verzweifelt mit den Armen zu und bemühte sich, Glebs Aufmerksamkeit zu erregen. Dann wandte er sich plötzlich wieder dem Hafen zu, nahm sein riesiges Präzisionsgewehr von der Schulter und brachte es in Anschlag.
Glebs Herz setzte für einen Augenblick aus, dann begann es in seiner Brust zu hüpfen, und die Lippen des Jungen flüsterten wie von selbst den einzig möglichen, ihm so liebgewordenen Namen:
»Taran …«
19
DIE JAGD
»Taran!!«
Der Junge beugte sich über die Brüstung und riskierte dabei herunterzufallen. Kein Zweifel: Das war er! Der Stalker schrie ihm etwas zu, aber Gleb konnte nichts verstehen, sosehr er sich auch bemühte. Sein Kopf brummte noch immer von dem erbitterten Kampf, und seine Gedanken kamen nur langsam vom Fleck. Was sollte er tun? Seinem Meister entgegenlaufen? Die Kannibalen hatten eine ungleichmäßige Kette gebildet und kamen immer näher. Vielleicht war es schon zu spät.
»… Der einzige Fehler, den du machen kannst, ist, nichts zu tun. Du brauchst nur ein Ziel fest ins Auge zu fassen – alles andere schlag dir aus dem Sinn …«
Gleb verwarf seine Zweifel und stürzte zurück in den Turm. In dem Halbdunkel des Zimmers tastete er krampfhaft auf dem Boden nach der Pernatsch und dem Feuerzeug. Kurz vor der Treppe stolperte der Junge über etwas und wäre beinahe hingefallen. Zu seinen Füßen lagen der Umhang des Sektierers und daneben sein Gebetbuch. Gleb folgte einem jähen Impuls, ergriff die Trophäe, verstaute sie bei seinen anderen Habseligkeiten und stürzte die Treppe
hinab. Eine Windung folgte der nächsten, die Wände jagten mit schwindelerregender Geschwindigkeit an ihm vorbei. In halsbrecherischer Manier nahm der Junge mehrere Stufen auf einmal und raste immer weiter nach unten. Endlich tauchte der Ausgang vor ihm auf. Gleb riss die Tür auf, sprang
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