Die Revolte des Koerpers
und später vom Erwachsenen auf andere Menschen oder gar Völker gerichtet, oder aber sie wird vom einst geschlagenen Kind gegen sich selbst gewendet und fuhrt zu Depressionen, Drogensucht, schweren Erkrankungen, Suizid oder frühzeitigem Tod. Der erste Teil des Buches illustriert, auf welchem Wege diese Leugnung der Wahrheit der einst erfahrenen Grausamkeit den biologischen Auftrag des Körpers zur Erhaltung des Lebens torpediert und dessen lebenserhaltendes Funktionieren blockiert.
Die Vorstellung, man müsse seinen Eltern bis zum eigenen Tod mit Ehr-Furcht begegnen, ruht auf zwei Pfeilern. Der erste besteht aus der (destruktiven) Bindung des einst mißhandelten Kindes an seine Peiniger, wie sie sich nicht selten in masochistischem Verhalten bis zu schweren Perversionen manifestiert. Der zweite Pfeiler besteht aus der Moral, die uns seit Jahrtausenden mit frühzeitigem Tode droht, falls wir es wagen sollten, unsere Eltern nicht zu ehren, was auch immer sie uns angetan haben.
Welch ungeheure Wirkung diese angstmachende Moral auf die einst mißhandelten Kinder ausübt, dürfte offenkundig sein. Jeder, der als Kind geschlagen wurde, ist für Angst anfällig, und jeder, der als Kind keine Liebe erfahren hat, sehnt sich danach, meistens sein Leben lang. Diese Sehnsucht, die eine Menge Erwartungen enthält,gepaart mit der Angst, bildet den geeigneten Nährboden zur Erhaltung des Vierten Gebotes. Es repräsentiert die Macht der Erwachsenen über das Kind, die sich in allen Religionen auf unverkennbare Weise spiegelt.
Ich drücke in diesem Buch die Hoffnung aus, daß mit dem steigenden psychologischen Wissen die Macht des Vierten Gebotes abnehmen könnte zugunsten der Beachtung der lebenswichtigen biologischen Bedürfnisse des Körpers, unter anderem nach Wahrheit, nach Treue zu sich selbst, zu seinen Wahrnehmungen, Gefühlen und Erkenntnissen. Wenn der genuine Ausdruck in einer echten Kommunikation angestrebt wird, fällt alles von mir ab, was auf Lüge und auf Heuchelei aufgebaut wurde. Ich kann dann nicht eine Beziehung anstreben, in der ich vorgebe, Gefühle zu haben, die ich nicht empfinde, oder andere unterdrücke, die ich deutlich empfinde. Eine Liebe, die Ehrlichkeit ausschließt, kann ich nicht als Liebe bezeichnen.
Die folgenden Punkte mögen diese Gedanken zusammenfassen:
1. Die ›Liebe‹ des ehemals mißhandelten Kindes zu seinen Eltern ist keine Liebe. Sie ist eine mit Erwartungen, Illusionen und Verleugnungen belastete Bindung, die einen hohen Preis von allen Beteiligten fordert.
2. Den Preis dieser Bindung zahlen in erster Linie die eigenen Kinder, die im Geist der Lüge aufwachsen, weil man ihnen automatisch das zufügt, was einem angeblich »gutgetan hat«. Auch der Betreffende zahlt für seine Verleugnung nicht selten mit Gesundheitsschäden, weil seine »Dankbarkeit« im Widerspruch steht zum Wissen seines Körpers.
3. Der Mißerfolg sehr vieler Therapien läßt sich durch die Tatsache erklären, daß sich sehr viele Therapeuten selber in der Schlinge der traditionalen Moral befinden und ihre Klienten ebenfalls da hineinzuziehen versuchen, weil sie nichts anderes kennen. Sobald zum Beispiel die Klientin zu fühlen anfängt und fähig wird, die Taten ihres inzestuösen Vaters eindeutig zu verurteilen, steigt in der Therapeutin vermutlich die Angst vor der Bestrafung durch die eigenen Eltern auf, wenn sie ihre Wahrheit sehen und aussprechen sollte. Wie anders läßt es sich verstehen, daß die Vergebung als Mittel der Heilung angeboten wird? Therapeuten schlagen dies häufig vor, um sich selbst zu beruhigen, wie die Eltern es auch getan haben. Aber weil die Botschaften des Therapeuten denen der frühen Eltern sehr ähnlich klingen, jedoch oft viel freundlicher artikuliert werden, braucht der Klient viel Zeit, um die Pädagogik zu durchschauen. Wenn er sie schließlich erkennt, kann er den Therapeuten nicht verlassen, weil inzwischen bereits die neue toxische Bindung entwickelt wurde. Für ihn ist jetzt der Therapeut die Mutter, die ihm zur Geburt verhalf, weil er hier zu fühlen angefangen hat. So fährt er fort, die Rettung vom Therapeuten zu erwarten, statt auf seinen Körper zu hören, der ihm mit seinen Signalen die Hilfe anbietet.
4. Wenn er aber das Glück hat, von einem empathischen Zeugen begleitet zu werden, kann er seine Angst vor den Eltern (oder Elternfiguren) durchleben und verstehen und allmählich die destruktiven Bindungen auflösen. Die positive Reaktion
Weitere Kostenlose Bücher