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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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schließlich verklang das Liedchen in einem heiseren Räuspern.
    Wie ein dickköpfiges Kind, das eine Dummheit zu Ende führen will, dachte Julie nicht an Umkehr. Sie kroch unter der Haut des Planeten immer weiter.
    In der Ferne glaubte sie ein schwaches Licht zu sehen.
    Erschöpft nahm sie an, daß es sich um eine Halluzination handle, doch dann spaltete sich das Licht in viele winzige gelbe Punkte auf, von denen manche blinkten.
    Das junge Mädchen stellte sich einen Moment lang vor, in dieser Höhle seien Diamanten verborgen, doch als sie näher herankam, erkannte sie Leuchtkäfer, die auf einem Würfel saßen.
    Ein Würfel?
    Sie streckte die Finger aus, und sofort erloschen die Leuchtkäfer und verschwanden. In dieser totalen Finsternis konnte Julie sich nicht auf ihre Augen verlassen. Sie mußte sich ausschließlich ihres Tastsinns bedienen. Der Würfel war glatt. Er war hart und kalt. Es war weder ein Stein noch ein Felsbrocken. Ein Griff, ein Schloß … dieser Gegenstand war von Menschenhand geschaffen.
    Ein kleiner, würfelförmiger Koffer.
    Mit letzter Kraft kroch sie aus dem Tunnel zurück ins Freie.
    Fröhliches Bellen von oben verkündete ihr, daß ihr Hund und ihr Vater sie gefunden hatten. Mit einer Stimme, die wegen der Entfernung sehr gedämpft klang, rief er: »Julie, bist du da unten, mein Mädchen? Antworte bitte, gib mir ein Zeichen!«
     

5. EIN ZEICHEN
    Sie vollführt mit dem Kopf eine Dreiecksbewegung. Das Pappelblatt zerreißt. Die alte rote Ameise nimmt sich ein anderes und verspeist es unter dem Baum, ohne es lang gären zu lassen. Die Mahlzeit schmeckt zwar fade, ist aber wenigstens nahrhaft. Pappellaub gehört nicht zu ihren Lieblingsgerichten, sie bevorzugt Fleisch, aber da sie seit ihrer Flucht noch nichts gegessen hat, kann sie jetzt nicht wählerisch sein.
    Nach beendetem Mahl vergißt sie nicht, sich zu säubern. Mit dem Ende eines Beins packt sie ihren langen rechten Fühler und biegt ihn bis zu ihren Lippen herunter. Dann schiebt sie ihn unter den Mandibeln hindurch bis zur Mundöffnung und saugt an ihm, um ihn zu reinigen.
    Sobald beide Fühler mit Speichelschaum überzogen sind, poliert sie sie in der kleinen borstigen Ritze unterhalb ihrer Beine.
    Die alte rote Ameise dehnt die Gelenke ihres Unterleibs, ihres Oberleibs und ihres Halses, bis zur Grenze des Möglichen. Dann säubert sie mit ihren Beinen die Facettenaugen. Ameisen haben keine Lider, die ihre Augen schützen und feucht halten könnten. Wenn sie nicht dauernd daran denken, ihre Linsen zu pflegen, sehen sie bald nur noch verschwommen.
    Je sauberer die Facetten werden, desto besser erkennt sie, was sie vor sich hat. Halt, da ist etwas! Es ist groß, sogar riesig, es ist voller Stacheln, und es bewegt sich.
    Vorsicht – Gefahr! Aus einer Höhle kommt ein mächtiger Igel.
    Nichts wie weg! Der Igel, eine imposante Kugel voll spitzer Pfeile, greift sie mit weit aufgerissenem Maul an.
     

6. BEGEGNUNG MIT EINEM  ERSTAUNLICHEN MENSCHEN
    Sie war am ganzen Körper zerkratzt. Instinktiv reinigte sie die tiefsten Verletzungen mit ein wenig Speichel. Humpelnd trug sie den würfelförmigen Koffer in ihr Zimmer und setzte sich aufs Bett. Von links nach rechts hingen über ihr an der Wand Poster von der Callas, Che Guevara, den Doors und Attila dem Hunnen.
    Mühsam stand Julie wieder auf und ging ins Bad. Sie duschte heiß und rieb sich kräftig mit ihrer Lavendelseife ab. Dann hüllte sie sich in ein großes Handtuch, schlüpfte in Badeschlappen und fing an, ihre schwarzen Kleider von den lehmfarbenen Erdklumpen zu reinigen.
    Ihre Schuhe konnte sie nicht mehr anziehen, denn ihre Ferse war dick angeschwollen. Sie holte ein altes Paar Sommersandalen aus dem Schrank, deren Riemen nicht auf die Ferse drückten und ihren Zehen Platz ließen. Julie hatte nämlich kleine, aber sehr breite Füße. Die große Mehrheit der Fabrikanten stellte für Frauen nur schmales, spitzes Schuhwerk her, was leider zu vielen schmerzhaften Schwielen führte.
    Erneut massierte sie sich die Ferse. Zum erstenmal spürte sie, was sich alles in diesem Körperteil befand, so als hätten ihre Knochen, Muskeln und Sehnen nur darauf gewartet, sich durch einen Unfall bemerkbar machen zu können. Jetzt waren sie alle da und bekundeten ihre Existenz durch Schmerzsignale.
    Leise sagte sie vor sich hin: »Hallo, Ferse.«
    Es amüsierte sie, einen Teil ihres Körpers so zu begrüßen.
    Sie interessierte sich für ihre Ferse nur, weil diese weh tat.
    Aber wenn sie es

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