Die rote Antilope
Insekten, die auf ihn warteten. Die darauf warteten, sortiert, beschrieben und klassifiziert zu werden. Er war nach Lund zurückgekehrt, hatte sich in der Botanik um die Zulassung beworben, und obwohl er schon ein älteres Semester war, hatte der Professor ihn freundlicherweise angenommen. Im Sommer hatte er sein Elternhaus in Småland besucht, wo der Vater als Rentner auf dem Familienhof außerhalb von Hovmantorp lebte. Seine Mutter war gestorben, als er fünfzehn war, seine beiden Schwestern waren älter, und da beide verheiratet waren und im Ausland wohnten, in Berlin beziehungsweise Verona, war der Vater allein mit der alten Haushälterin zurückgeblieben.
Das Haus verfiel im gleichen Takt, wie sein Vater langsam dahinsiechte. In seiner Jugend hatte er sich in Paris die Syphilis zugezogen, und nun saß er jeden Sommer eingesperrt in einer Laube, allein auf einem Stuhl. Die Laube war so zurechtgestutzt, daß man durch ein Loch dicht über dem Boden hineinkriechen mußte. Im Herbst schloß sich der Vater in seinem Schlafzimmer ein und blieb das ganze Winterhalbjahr über im Bett, regungslos, an die Decke starrend, mit mahlenden Kiefern, bis die Frühlingswärme zurückkehrte. Der Großvater war mit seinen Finanzspekulationen während der Napoleonischen Kriege erfolgreich gewesen, noch immer war ein gewisses Kapital vorhanden, auch wenn es allmählich zusammengeschmolzen war. Der Hof war bis unters Dach mit Hypotheken belastet, und jedesmal, wenn er sein Elternhaus besuchte, wurde ihm aufs neue klar, daß er kein nennenswertes Erbe zu erwarten hatte. Nichts als diese monatlichen Zahlungen, die ihm das Überleben in Lund ermöglichten.
Sein Vater war nur ein Schatten. Er war nie etwas anderes gewesen. Trotzdem machte Bengler in diesem Sommer einen Besuch in Hovmantorp, um sich seinen Segen zu holen. Dahinter stand die vage Hoffnung, der Vater würde ihm für die Expedition, die er plante, eine gewisse finanzielle Unterstützung gewähren.
Außerdem, und das war das Wichtigste, sah er ein, daß es Zeit wäre, sich zu verabschieden. Sein Vater würde bald fort sein.
Von Växjö aus nahm ihn ein Handlungsreisender mit, der nach Lessebo wollte. Der Wagen war unbequem, die Straße war schlecht und der Pelz des Handlungsreisenden roch stark nach Schimmel. Denn einen Pelz trug er, obwohl es Anfang Juni war, zwar noch nicht Hochsommer, aber schon ziemlich warm.
- Hovmantorp, sagte er nach einer Stunde. Das klingt schön. Aber es ist nichts dahinter.
Dann machten sie sich miteinander bekannt. Dazu war es am Vorabend nicht gekommen, als er ihn bei seinem Rundgang durch die Herbergen der kleinen Stadt angesprochen hatte, auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit.
- Hans Bengler.
Der Handlungsreisende überlegte einige Kilometer lang, ehe er antwortete.
- Das klingt nicht schwedisch, sagte er. Aber was ist schon schwedisch, außer endlosen Straßen durch ebenso endlose Wälder. Mein Name ist auch nicht schwedisch. Ich heiße Puttmansson, Natanael Puttmansson, und gehöre zum auserwählten und dennoch vertriebenen Volk. Ich verkaufe Bürsten und Hausmittel gegen Kinderlosigkeit und Gicht.
- Ein Teil ist wallonisch, erwiderte Hans Bengler. Ein anderer ist französisch. Einen Hugenotten gibt es auch in der Verwandtschaft, außerdem einen Finnen. Und einen französischen Rittmeister, der unter Napoleon diente und bei Austerlitz eine Kugel in die Stirn bekam. Aber der Name ist echt.
Sie rumpelten noch ein paar Kilometer dahin. Ein See glitzerte zwischen den Bäumen. Er ist nicht besonders gesprächig, dachte Bengler. Große Wälder lassen die Leute entweder verstummen oder bringen sie dazu, endlos zu plappern. Ich bin dankbar, daß dieser Handlungsreisende, der nach Schimmel riecht, ein Mensch ist, der den Mund hält.
Dann starb das Pferd.
Es hielt mitten im Schritt inne, versuchte sich aufzubäumen,
als sei ihm plötzlich ein unsichtbarer Feind begegnet, und sank gleich darauf in sich zusammen. Der Handlungsreisende schien nicht erstaunt.
- Hereingelegt, sagte er nur. Jemand verkauft mir unter falschen Vorspiegelungen ein Pferd. Und das einzige, was ich niemals zu beurteilen gelernt habe, sind nun mal Pferde.
Sie trennten sich ohne große Umstände. Hans Bengler nahm seinen Rucksack und legte die letzte Meile nach Hovmantorp zu Fuß zurück. Da er nun ein Mensch war, der sich den Insekten widmete, blieb er mitunter stehen, studierte verschiedene Flügeltiere und bereitete sich auf die Begegnung mit dem Vater
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