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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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vor. Kurz bevor er Hovmantorp erreichte, fing es an zu regnen. Er suchte Unterschlupf in einer Scheune, onanierte eine Weile und dachte dabei an Matilda, die seine Hure war und in einem Bordell gleich nördlich vom Dom arbeitete. Es dauerte einige Stunden, bis die Regenwolken abzogen. Er saß da und betrachtete den dunklen Himmel, während er sein Glied trocknen ließ, dachte, die Wolken sähen aus wie eine Karawane, und überlegte, wie es sein würde, in einer Wüste zu leben, wo fast nie Regen fiel.

    Weshalb hatte er sich eigentlich für die Wüste entschieden?
    Das wußte er nicht. Als er angefangen hatte, die Karten zu studieren, hatte er zunächst an Südamerika gedacht. Aber die Bergketten schreckten ihn ab, weil ihm unwohl war, wenn er sich in großer Höhe aufhalten mußte. Den Turm des Doms zu besteigen, um bis hinaus zu den Feldern schauen zu können, hatte er nie gewagt. Allein bei dem Gedanken war ihm schwindlig geworden. In Frage kamen eigentlich nur die großen Ebenen im Reich der Mongolen, die arabischen Wüsten und die weißen Flecken im südwestlichen Afrika. Daß er sich schließlich für die Kalahari entschieden hatte, hing sicher mit der deutschen Sprache zusammen. Er sprach Deutsch, weil er ein paar Jahre zuvor mit einem Kommilitonen eine Fußwanderung gemacht hatte. Sie waren bis hinunter nach Tirol gekommen. Dann hatte sein Reisegefährte plötzlich Fieber bekommen und war bald unter schweren Brechanfällen verstorben, und er selber war schleunigst nach Hause zurückgekehrt. Aber Deutsch hatte er gelernt.

    Wie er da in der Scheune saß, sein Glied in der Hand, hatte er gedacht, er sei im Grunde ein Schüler, ausgesandt vom toten Meister Linné. Aber dann kam ihm der Gedanke, daß er eigentlich gar nicht dafür geeignet war. Er konnte Schmerzen schlecht ertragen, war nicht besonders kräftig, und oft fürchtete er sich vor lauten Geräuschen. Eine einzige Sache konnte ihm zum Vorteil gereichen, und das war sein Eigensinn. Eng mit dem Eigensinn verbunden war die Eitelkeit. Irgendwo würde er einen Schmetterling finden, oder vielleicht eine Fliege, die in den Katalogen der Botanik nicht vorkam, und er würde ihr seinen Namen geben.

    Dann ging er nach Hause. Der Vater saß völlig durchnäßt in der Laube, als er durch die Hecke kroch. Die Kiefer mahlten, der Vater war jetzt verwittert, kahl, die Haut hing in losen Falten, und er erkannte seinen Sohn nicht. Es war ein lebender Leichnam, der da in der Laube saß, die Kiefer mahlten wie Mühlsteine ohne Korn, es knirschte in seinem Skelett, das Herz pumpte wie ein Blasebalg, und Bengler erschien seine Wallfahrt zum Haus der Kindheit nun wie das Eintreten in einen Alptraum. Trotzdem blieb er eine Weile sitzen und redete mit seinem geisteskranken Vater. Dann ging er hinauf ins Haus, wo die Haushälterin sich freute, ihn zu sehen, das war aber auch alles, und sie machte ihm das Bett in seinem alten Zimmer und bereitete einen Imbiß für ihn zu. Während sie geräuschvoll in der Küche hantierte, ging er durchs Haus und steckte alles Silber ein, was da herumlag. Er holte sich sein Erbe im voraus und begriff, daß er als ein sehr armer Insektenforscher in die afrikanische Wüste reisen würde.
    Nachts lag er wach. Die Haushälterin holte den Vater gewöhnlich bei Sonnenuntergang herein und bettete ihn auf ein Sofa im Erdgeschoß. Irgendwann im Laufe der Nacht war er hinuntergegangen und hatte seinen Vater betrachtet. Selbst im Schlaf mahlten seine Kiefer weiter. Irgend etwas hatte Bengler plötzlich angerührt, eine Trauer, die ihn überraschte, und er war hingegangen und hatte dem Vater über den kahlen Kopf gestrichen. In diesem Moment, mit dieser Berührung, hatte sich der Abschied vollzogen. Es war, als würde er bereits am Grab stehen und zusehen, wie man einen Sarg in die Erde senkte.

    Anschließend hatte er wach gelegen und auf die Morgendämmerung gewartet. Es hatte keinen Inhalt in diesem Warten gegeben, keine Unruhe, keine Träume, als wäre sein Inneres eine glatte, kalte Felswand.

    Er war aufgebrochen, ehe die Haushälterin aufgewacht war. Drei Tage später war er wieder in Lund. Schon in der ersten Woche war er über den Sund gefahren und hatte das Silber in Kopenhagen verkauft. Genau wie befürchtet, hatte er nicht viel Geld für das bekommen, was er anzubieten hatte. Das einzige, was Geld gebracht hatte, war eine Schnupftabakdose aus dem Besitz eines Verwandten, dem man bei Austerlitz das Gehirn weggeschossen hatte.

    Im folgenden Jahr

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