Die Sache mit Callie und Kayden
ist viel weniger beängstigend, was mit Caleb passiert war.
Die Sonne steigt über die Berge, und der Himmel ist leuchtend rosa, auch wenn diese Schönheit irreführend ist verglichen mit dem, was unten vor sich geht. Es stürmt und ist merklich kälter geworden.
Mein Vater sitzt am Küchentisch, als ich hereinkomme. Sein braunes Haar ist ordentlich zur Seite gekämmt, und er trägt eine Krawatte und eine Stoffhose, bereit für das Thanksgiving-Dinner heute Nachmittag.
Als er von seinem Essen aufblickt, zieht er die Brauen zusammen. »Ist alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du geweint.«
»Mir geht es gut.« Ich sehe ins Wohnzimmer, ehe ich wieder zu ihm zurückgehe. »Wo ist Mom? Ich muss sie etwas fragen.«
»Sie duscht gerade.« Er steht auf, bringt seine Schale zur Spüle und mustert mich. »Hast du auch abgenommen? Dann iss heute reichlich. Nach dem Dinner gibt es ein Spiel, und ich möchte, dass du dieses Jahr mitspielst.«
»Okay, mach ich.« Ich höre kaum, was er sagt, weil ich die Nachrichten auf meinem Handy durchsehe. Von Kayden ist keine dabei. »Kann ich kurz das Auto haben? Ich verspreche auch, dass ich nicht lange wegbleibe.«
Er zieht die Schlüssel aus seiner Tasche. »Ist auch wirklich alles okay? Du siehst ziemlich verstört aus.«
»Alles bestens«, versichere ich ihm, auch wenn mir nicht wohl ist, denn gewöhnlich fällt ihm so etwas nie auf. Wie schlimm sehe ich aus? »Ich muss bloß nach einem Freund sehen.«
Er wirft mir die Schlüssel zu, und ich fange sie. »Ist dieser Freund zufällig einer meiner alten Quarterbacks?«
Ich schließe die Faust zu fest um die Schlüssel, sodass mir der Bart in die Handfläche drückt. »Hat Mom mal wieder getratscht?«
Schulterzuckend steckt er die Hände in die Hosentaschen. »Du weißt, wie sie ist. Sie möchte nur, dass du glücklich bist.«
»Ich bin glücklich.« Und in diesem Moment kommt es mir nicht wie eine fette Lüge vor. »Ich muss bloß jemanden suchen«, erkläre ich und drehe mich zur Tür.
»Sei in einer Stunde wieder da«, ruft er mir nach. »Sie wird deine Hilfe brauchen, und dein Bruder ist die Nacht nicht nach Hause gekommen. Wahrscheinlich hat er durchgetrunken, sodass man ihn heute vergessen kann.«
»Okay.« Kaum trete ich in die Kälte, habe ich das Gefühl, dass mich etwas mitten in die Brust trifft, aber ich weiß nicht genau, was es ist. Mein Handy klingelt, und ich bin erstaunt, Lukes Namen auf dem Display zu sehen.
»Hallo?«, melde ich mich, laufe die Einfahrt hinunter und steige in den Wagen meiner Mom.
»Hi«, sagt er eindeutig besorgt. »Hast du schon mit Kayden geredet?«
»Nicht seit gestern Abend.« Ich schlage die Autotür zu und starte den Motor. Das Warten, bis die Heckscheibe enteist ist, erspare ich mir. »Ich weiß nicht, wo er hin ist. Er ist einfach weg, und ich kann ihn nicht erreichen.«
»Ich auch nicht.« Luke zögert, während ich mich umdrehe und durch die vereiste Heckscheibe blinzele, als ich rückwärts auf die Straße fahre. »Hör mal, Callie, er hat gestern Abend was richtig Übles gemacht.«
Ich biege in die Straße ein, halte und schalte auf »Drive«. »Was ist passiert?«
»Ich bekam diesen schrägen Anruf von ihm«, erzählt Luke. »Dass ich ihn abholen soll. Er wollte runter zum See und … da hat er Caleb Miller zu Brei geschlagen.«
Ich trete das Gaspedal durch, dass die Reifen quietschen. »Ist mit ihm alles okay?«
»Ihm geht’s gut, glaube ich, aber er wurde festgenommen, und sein Dad musste ihn bei der Polizei abholen.«
Mir bleibt das Herz stehen. »Sein Dad?«
»Ja, sein Dad«, wiederholt Luke nach einer winzigen Pause, und ich frage mich, ob er über Kaydens Vater Bescheid weiß.
»Ich fahre hin und sehe nach ihm.«
»Ich auch. Wo bist du?«
»Nur ein paar Blocks entfernt … Auf der Mason Road.«
»Okay, dann sehen wir uns gleich«, sagt er. »Und, Callie, sei vorsichtig. Sein Dad …«
»Ich weiß.« Ich lege auf und halte das Handy umklammert, als ich den Hügel hinauffahre, der zu Kaydens Haus führt.
Vor den Bergen wirkt die zweigeschossige Villa riesig. Als ich unter dem Baum halte, ist der Wind noch stärker geworden und wirbelt braune Blätter durch die Luft, sodass man beinahe den Wald hinterm Haus nicht mehr sieht. Mein Herz pocht wie verrückt, als ich aus dem Wagen springe und über den Rasen zur Vorderveranda renne, wobei ich mit den Armen die Blätter abhalten muss, damit sie mir nicht ins Gesicht fliegen.
Die Haustür steht weit
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