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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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wiederholte, aber sie verstummte wieder.
    »Mitochondrien werden von der Mutter auf das Kind vererbt«, sagte er.
    Sie wandte ihm wieder den Kopf zu, wie ein Vogel. »Das denken Sie sich doch nur aus.«
    »Nein. Es ist wahr. Die werden von der Mutter auf die...
    Tochter vererbt. Oder den Sohn. Das gibt es in allen Zellen im Körper, zum Beispiel in Haaren.«
    »Sie haben eins von meinen Haaren mitgenommen, als Sie letztes Mal hier waren«, begriff sie. »Sie haben sich hinter den Rollstuhl gestellt, haben mich geschoben.«
    »Ja. Ich dachte plötzlich, das sei eine gute Gelegenheit.«
    »Dieser verfluchte Rollstuhl«, schimpfte sie.
    »Sie sind Brigitta Dellmar?«
    »Das sagen Sie.«
    »Ich will es von Ihnen hören.«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Ja.«
    Sie rieb sich die verkrüppelten Beine. »Ich bin Brigitta Dellmar«, sagte sie leise. »Ich bin Brigitta Dellmar, aber das macht niemanden glücklicher.«
    »Und Georg Bremer ist nicht Ihr Bruder.« »Er ist nicht mein Bruder.«
    »Warum hat er uns gesagt, Sie wären seine Schwester?«
    »Er glaubte, er könne mich so besser einschüchtern. Und ich habe lange Jahre als seine Schwester gegolten... All die Jahre, ohne es zu sein. Ich habe die Rolle spielen müssen. Die haben das verlangt.« Sie blickte Winter zum ersten Mal ganz direkt an. »Aber er konnte mich nicht einschüchtern.«
    Das Telefon läutete, und sie nahm nach dem dritten Klingelzeichen ab und sagte fragend »ja«. Dann hörte sie zu. Sie sagte »warte« und wandte sich an Winter.
    »Dauert das hier lange?«
    Winter antwortete nicht auf diese unsinnige Frage.
    »Ich rufe später an«, sagte sie und beendete abrupt das Telefonat.
    »Sie haben vor zwei Tagen von diesem Apparat aus Bremer angerufen«, stellte Winter fest. »Woher wissen Sie, dass ich es war?« »War es nicht so?«
    »Doch, das war ich. Ich habe angerufen, als er zum letzten Mal aus dem Polizeigewahrsam nach Hause zurückgekehrt ist.«
    »Haben Sie nicht geahnt, dass wir das nachprüfen würden?«
    »Vielleicht.«
    »Warum haben Sie angerufen?«
    »Es war Zeit für ihn zu sterben. Er hatte zu lange gelebt. Er hat mein Kind getötet«, sagte sie und ließ endlich die Maske fallen. Sie kippte im Rollstuhl auf die Seite und lag da wie tot, mit dem zerstörten Gesicht nach unten. Sie alterte sichtlich vor Winters Augen. Versuchte, etwas zu sagen, aber ihre Worte wurden vom Polsterstoff geschluckt.
    Sie zog sich wieder hoch in eine aufrechtere Position, und Winter sah Tränen über ihr Gesicht laufen. »Ich habe ihm verraten, dass er meine Tochter getötet hatte. Dass ich es wusste. Er hatte keine Ahnung, dass ich das wusste«, sagte sie gequält und stöhnte. Es war mehr ein Schrei aus ihrem tiefsten Innern, der anschwoll zu den nächsten Worten: »Er wusste nicht, dass ICH AN ALLEM SCHULD WAR.« Sie verstummte und blickte Winter an. Ich muss geduldig sein und abwarten, überlegte er.
    Brigitta Dellmar saß da, das Kinn auf der Brust. Dann hob sie wieder den Kopf. »Ich habe ihm verraten, dass er sein eigenes Kind getötet hatte. DAS HABE ICH IHM GESAGT!«
    Winter schwieg. Die Straßenbahn schlich draußen vorbei, die Uhr an der Wand war stehen geblieben.
    »Ich habe ihm gesagt, dass er seine eigene Tochter getötet hatte. Dass Helene sein Kind war.« Nun schaute sie Winter wieder in die Augen.
    »Das ist das Furchtbarste, was es gibt: einen anderen Menschen zu töten. Wie viel mehr bedeutet es dann, sein eigenes Kind zu töten?« »Sie haben ihm erzählt, dass Helene seine Tochter war?« »Ja.«
    »War es so? Ist das wahr?« »Nein.«
    »Und trotzdem haben Sie es ihm gesagt.«
    »Ich wollte, dass er leidet für das, was er getan hat, leidet. Er hat nie gelitten. Er wusste nicht, was Leiden ist. Er weiß es nicht. Er wusste es nicht.«
    »Was meinen Sie, wenn Sie sagen, dass Sie an allem schuld sind?«, fragte Winter.
    »Sie war mein Mädchen«, murmelte Brigitta Dellmar jetzt, als sei sie in Gedanken weit weg, in einer anderen Zeit. »Helene war mein Mädchen. Sie war nicht wie die andern. Wir waren nie wie die andern.«
    »Sie war Ihr Mädchen«, wiederholte Winter.
    »Sie hat es schwer gehabt.« Brigitta Dellmar streckte plötzlich ihre Arme über den Tisch und umfasste Winters Hände mit ihren eigenen. »Sie hat gelitten, und das war meine Schuld, und am Ende konnte ich es nicht sein lassen ihr alles zu... erzählen. Ich habe es ihr erzählt.«
    »Was haben Sie ihr erzählt? Dass Sie Ihre Mutter sind?«
    »Was? Dass ich... Sie wusste, dass

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