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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Vergleich zu dem hier …«
    »Ich danke dir, mein Bruder«, erwiderte mein Vater.
    »Wofür denn? Ich habe einfach was dagegen, dass sich einer an Kindern vergreift. Ich wäre bis zum Morgen bei ihm geblieben. Allein hätte er die Nacht in diesem Natternloch nicht überlebt, da hätte ich kein ruhiges Gewissen gehabt.«
    Er lotste uns ohne Zwischenfälle aus der Räuberhöhle heraus, erklärte uns den sichersten Heimweg, in großem Bogen um die verrufenen Viertel herum, und verschwand in der Nacht.
    Mein Vater befolgte die Ratschläge des Wirts aufs Wort. Fortan ließ er mich in der Obhut meiner Mutter zurück. Wenn ich morgens aufwachte, war er schon weg. Wenn er abends heimkehrte, schlief ich bereits.
    Ich bekam ihn überhaupt nicht mehr zu Gesicht.
    Er fehlte mir.
    Im Patio gab es für mich nichts zu tun. Ich langweilte mich. Da ich so gut wie allein aufgewachsen war, mit einem alternden Hund als einzigem Spielgefährten, wusste ich nicht, wie ich Anschluss an die anderen Jungs finden sollte, die sich unablässig im Hof balgten. Wie Poltergeister in Ekstase kamen sie mir vor. Jünger als ich, regelrechte Zwerge, aber sie veranstalteten einen Heidenlärm. Ich hockte auf unserer Türschwelle und sah ihnenbeim Herumtoben zu. Ihre Spiele, bei denen es nicht ohne aufgeplatzte Augenbrauen und aufgeschürfte Knie ablief, machten mir Angst.
    In unserem Hof wohnten fünf Familien, die allesamt aus dem Hinterland stammten, bankrotte Bauern oder sogenannte »Khammes«, Fünftel-Bauern, denen der Pachtvertrag gekündigt worden war. In Abwesenheit der Männer, die in aller Herrgottsfrühe aufbrachen, um sich zu Tode zu schuften, versammelten sich die Frauen am Brunnen und versuchten, unserem Rattenloch eine Seele einzuhauchen, gänzlich unbeeindruckt von den Nahkämpfen, die ihr Nachwuchs währenddessen ausfocht. In ihren Augen übten sich die Knirpse in die harte Schule des Lebens ein. Und je früher, desto besser. Beinahe hingerissen schauten die Frauen zu, wie die Kleinen sich prügelten, bis ihnen die Lippen aufplatzten, sich dann, nach tränenreichem Zwischenspiel, wieder vertrugen, um zuletzt mit erstaunlichem Kampfgeist die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen … Die Frauen verstanden sich gut untereinander. Sie hielten zusammen. Wenn eine von ihnen krank wurde, sorgten die anderen dafür, dass sie immer etwas im Kochtopf hatte, kümmerten sich um ihr Baby und wachten abwechselnd am Krankenbett. Manchmal teilten sie einen Brocken Naschwerk unter sich auf und schienen überhaupt den Widrigkeiten des Alltags mit anrührender Nüchternheit zu begegnen. Ich bewunderte sie. Da war zunächst Badra, eine gewaltige Amazone, die mit Begeisterung schlüpfrige Geschichten erzählte. Sie brachte frischen Wind in unseren Patio. Ihre derbe Ausdrucksweise brachte nur meine Mutter in Verlegenheit, die anderen Frauen waren hellauf entzückt. Badra nannte fünf Blagen und zwei Heranwachsende, die nur Probleme machten, ihr Eigen. Ihr erster Mann war ein beschränkter Hirte gewesen, mit mehr als nur einem Brett vorm Kopf. Er habe, so erzählte sie, das Gemächt eines Esels besessen, wusste es aber nicht zu gebrauchen … Dann kam Batoul, so schmächtig und dunkel wie eine Gewürznelke, erst vierzig, aber schon ergraut und im ganzen Gesicht ta töwiert,die bog sich vor Lachen, bevor Badra auch nur den Mund auftat. Sie war mit einem Greis im Alter ihres Großvaters zwangs verheiratet worden und behauptete, übersinnliche Gaben zu haben – sie las aus der Hand und deutete Träume. Regelmäßig kamen Frauen aus der Nachbarschaft und von weiter her, um ihren Rat einzuholen. Denen sagte sie für eine Handvoll Kartoffeln, eine Münze oder ein Stück Seife die Zukunft voraus. Für die Bewohnerinnen des Patios waren ihre Dienste kostenlos … Da war noch Yezza, eine rundliche Rothaarige mit üppiger Oberweite, die von ihrem trunksüchtigen Ehemann jede zweite Nacht verprügelt wurde. Ihr Gesicht war von den vielen Schlägen schon ganz welk, und ihr Mund so gut wie zahnlos. Ihr Pech bestand darin, dass sie keine Kinder gebar, was ihren Mann gewaltig in Rage brachte. Dann gab es Mamma mit ihrem Schwarm Wildfänge am Hals, Mamma, die so wacker arbeitete wie zehn Dienstmädchen und zu jedem Zugeständnis bereit war, um zu verhindern, dass ihr das Dach über dem Kopf einstürzte … Und zuletzt war da noch Hadda, schön wie eine Huri, eine Paradiesjungfrau, selbst noch ein halbes Kind und schon Mutter zweier Knirpse. Ihr Mann war eines Tages

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