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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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nicht wieder auf. Er hatte es tatsächlich geschafft, angeheuert zu werden.
    Stundenlanghabe ich auf ihn gewartet, während die Sonne bleiern am Himmel stand. Ringsherum kauerten überall zerlumpte Gestalten mit leerem Blick und umnachteter Miene im Schatten der Baracken. Sie schienen mit unverständlicher Geduld auf etwas zu warten, das sich nirgendwo zeigen würde. Am Abend zerstreuten sie sich schweigend, müde vom Nichtstun. Zurück blieben nur die Bettler, ein paar stammelnde Irre und einige dubiose Gestalten mit verschlagenen Augen. Plötzlich schrie jemand: »Haltet den Dieb!«, und es war, als hätte man die Büchse der Pandora geöffnet. Allenthalben reckten sich Köpfe in die Höhe und schnellten Leiber empor, und ich sah mit an, wie sich eine Handvoll rauer Gesellen auf einen Jungen in Lumpen stürzte, der davonlaufen wollte. Er war der Dieb. Im Handumdrehen hatten sie ihn gelyncht. Die Schreie des Jungen und ihr Gebrüll sollten mich noch wochenlang im Schlaf verfolgen. Am Ende der Strafaktion blieb im Staub nichts als der verrenkte Körper des Jugendlichen in seiner Blutlache zurück. Entsetzt fuhr ich auf, als ein Mann sich über mich beugte.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken, Kleiner«, sagte er und hob zum Zeichen, dass er es ehrlich meinte, beide Hände hoch. »Du bist schon seit dem frühen Morgen hier. Zeit, nach Hause zu gehen. Das hier ist kein Ort für dich.«
    »Ich warte auf meinen Vater«, gab ich zurück. »Er ist mit dem Lastwagen davongefahren.«
    »Und wo steckt er jetzt, dieser Schwachkopf von Vater? In so einer Gegend lässt man doch keinen kleinen Jungen zurück … Wohnst du weit weg von hier?«
    »Ich weiß nicht …«
    Der Mann wirkte unschlüssig. Er war ein Hüne mit behaarten Armen, einem von der Sonne gegerbten Gesicht und einem ramponierten Auge. Die Hände in die Hüften gestemmt, blickte er sich um, dann schob er mir widerwillig eine Bank hin und forderte mich auf, an einem der verdreckten Tische Platz zu nehmen.
    »Eswird bald dunkel, und ich muss schließen. Du kannst hier nicht alleine herumhängen, hast du kapiert? Das ist nicht gut für dich. Hier laufen zu viele Irre herum … Hast du was im Bauch?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Habe ich mir doch gleich gedacht.«
    Er schlurfte ins Innere seiner Garküche und kam mit einem Blechteller voll dickflüssiger Suppe zurück.
    »Brot habe ich keines mehr …«
    Er setzte sich neben mich und schaute betrübt zu, wie ich den Napf leer schleckte.
    »Wirklich ein Schwachkopf, dein Vater!«, bemerkte er seufzend.
    Es wurde dunkel. Der Wirt machte seinen Laden dicht, aber er ging nicht heim. Er hängte eine Laterne an einem Pfosten auf und leistete mir griesgrämig Gesellschaft. Auf dem dunklen Platz regten sich hier und da Schatten. Ein ganzes Heer Obdachloser nahm von der Örtlichkeit Besitz, manche saßen rings um ein Holzfeuer, andere streckten sich auf dem nackten Boden aus, um zu schlafen. Die Stunden vergingen, die Geräusche ließen nach, aber mein Vater war noch immer nicht zurück. Der Ärger des Wirts wuchs im selben Maße, wie die Zeit verstrich. Er wollte schon lange nach Hause, aber gleichzeitig war ihm klar, dass es um mich geschehen wäre, wenn er mich auch nur eine Minute alleine ließ. Als mein Vater endlich auftauchte, ganz blass vor Sorge, fuhr der Wirt ihn an:
    »Was glaubst du eigentlich, wo du bist, du Schwachkopf? In Mekka? Was ist nur über dich gekommen, dass du deinen Kleinen in einer Gegend wie der hier vergisst? Selbst die härtesten Burschen sind hier nicht vor einer bösen Überraschung sicher.«
    Mein Vater war so erleichtert, mich unversehrt vorzufinden, dass er die Vorwürfe des Wirts wie Nektar aufsog. Er begriff, dass er einen schweren Fehler begangen hatte und mich nie wiedergefunden hätte, wenn der Wirt sich meiner nicht angenommen hätte.
    »Ichbin mit dem Lastwagen losgefahren«, stammelte er bestürzt. »Ich dachte, sie würden uns hinterher wieder zurückbringen. Aber von wegen. Ich bin fremd in der Stadt, und der Hafen ist nicht gerade um die Ecke. Ich habe mich verlaufen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wie ich wieder hierher zurückkommen sollte. Ich irre schon seit Stunden durch die Gegend.«
    »Du bist wohl nicht ganz dicht, Mann!«, herrschte der Wirt ihn an, während er die Laterne abnahm. »Wenn man Arbeit sucht, lässt man seine Kinder zu Hause … Und jetzt kommt ihr beide mit mir mit, und passt bloß auf, wo ihr die Füße hinsetzt. Ein Schlangennest ist nichts im

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