Die Schuldlosen (German Edition)
wäre sie nur mit einem Trauring am Finger gewesen.
Bei Helenes Hochzeit schrubbte sie Töpfe und Pfannen und zweigte ein Stückchen Schweinebraten und ein Stück von der Hochzeitstorte für Gottfried ab, klammheimlich, versteht sich. Genauso heimlich musste er die Köstlichkeiten spätnachts im gemeinsamen Schlafzimmer hinunterschlingen. Franziska hatte sich zwar vorgestellt, ihm zum Fleisch ein paar Kartoffeln und etwas Möhrengemüse zu kochen. Aber in der Nacht wäre es dafür viel zu spät gewesen, und am nächsten Abend hätten seine Eltern doch Stielaugen bekommen, sich wahrscheinlich verschluckt an dem Wasser, das ihnen im Mund zusammengelaufen wäre, hätte Gottfried sich das Festmahl in der Küche einverleibt.
Im September 1952, genau ein Jahr nach der Hochzeit, brachte Helene ihren ersten Sohn zur Welt und nannte ihn Albert – nach ihrem verstorbenen Bruder. Im Sommer 1953 wurde sie zum zweiten Mal schwanger, fast zeitgleich mit Franziska.
Die arbeitete immer noch für die Schopfs, bekam nun doch einen schlichten Goldring und eine Trauung auf dem Standesamt, allerdings nicht den Segen der Kirche. Da mochte der Pfarrer noch so oft vorbeikommen und Gottfried Vorträge über die Konsequenzen ihres sündigen Lebens halten.
«Uns gefällt diese Art von Sünde, Hochwürden», antwortete Gottfried jedes Mal. «Dabei kommt wenigstens keiner zu Schaden.» Und das sündige Leben gefiel ihm umso besser, weil er während der Schwangerschaft nicht aufpassen musste.
Für Helene dagegen fand die Liebe nach Feststellung der zweiten Schwangerschaft ein abruptes Ende. Der eiserne Heinrich zog aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus und nie wieder ein. Zuerst hieß es, er wolle seine ruhebedürftige Gattin nicht stören. Er neigte zu lebhaften Träumen, redete und schrie häufig im Schlaf.
Nach der Geburt einer Tochter war es dann umgekehrt. Da wollte Heinrich nicht um seine Nachtruhe gebracht werden, wenn Helene zum Stillen und Windelnwechseln aufstand. Den kleinen Albert und das Töchterchen, das auf den Namen Alexandra getauft und Alexa gerufen wurde, versorgte sie selbst, sonst hatte sie nichts zu tun.
Für die Brauerei war Heinrich bares Geld, als Ehemann konnte man ihn in der Pfeife rauchen. Er ging höflich und zuvorkommend mit Helene um, führte sie einmal im Monat groß aus, half ihr bei der Gelegenheit in den Mantel, hielt ihr die Autotür auf und reichte ihr Feuer, wenn sie ihr Zigarettenetui zückte. Es gab nie ein lautes Wort, allerdings auch kein zärtliches mehr. Heinrich glaubte wohl, mit zwei Kindern seine eheliche Pflicht voll und ganz erfüllt zu haben. Immerhin hatte er der Brauerei einen männlichen Erben und seiner Gattin einen Trost und eine Ablenkung für einsame Stunden geschenkt.
Alexa war ein liebes Mädchen. Das sagten noch ein halbes Jahrhundert später alle, die sie gekannt hatten. Dass Albert als kleines Kind genauso lieb gewesen war wie seine Schwester, hatten die meisten längst vergessen. Er wurde auch zu schnell das Ebenbild seines Vaters, nicht nur äußerlich.
«Wo wir ein Herz haben, Franziska», sagte Helene einmal, «hat mein Sohn einen Rechenschieber. Er ist genau wie Heinrich.»
Alexa dagegen kam ganz nach ihrer Mutter. Schon mit zehn Jahren spielte sie recht passabel Klavier, schrieb mit vierzehn ein Gedicht, das in der Wochenendbeilage der regionalen Tageszeitung abgedruckt wurde. Das Mädchen war Helenes Ein und Alles.
Leider infizierte Alexa sich kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag mit Meningokokken, Pneumokokken, Streptokokken oder Staphylokokken, so genau brachte Franziska das nie in Erfahrung, irgendwelche Kokken eben. Alexa bekam eine Hirnhautentzündung und starb binnen weniger Tage.
Für Helene war das ein Schlag, über den sie nie hinwegkam. Der Tod ihrer Tochter traf sie umso härter, weil sie im Vorjahr kurz hintereinander ihre Eltern verloren und das noch nicht überwunden hatte. Zwei Tage nachdem Alexa im Familiengrab bei den Großeltern zur letzten Ruhe gebettet worden war, schluckte Helene eine Überdosis Schlaftabletten. Die Haushälterin Frau Schmitz fand sie gerade noch rechtzeitig. Es sei ein Versehen gewesen, behauptete Helene, als Franziska sie im Krankenhaus besuchte. Zu der Zeit arbeitete sie längst nicht mehr für die Familie.
Einen knappen Monat später fiel Helene aus Versehen so unglücklich mit dem linken Arm in das Rasiermesser ihres Vaters, dass sie sich die Pulsader der Länge nach aufschlitzte. Weil Frau Schmitz auch diesmal schneller
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