Die Séance
Großvaters. Da waren ein Mann und eine Frau und ein Priester. Nur drei Leute. Die Frau weinte sich die Seele aus dem Leib. Der Priester redete auf sie ein, wollte sie offensichtlich beruhigen. Seltsamerweise schien es Christie so, als hätten sie es eilig, als wollten sie nicht von irgendwem beobachtet werden.
Das alles hatte etwas furchtbar Trauriges an sich.
Sie schaute auf ihren Großvater. Er betrachtete sie mit einer Art wehmütigem Humor in seinem Blick.
“Liebe ist alles, was wir mit uns ins Grab nehmen können”, murmelte er. “Liebe ist das Wichtigste jeder menschlichen Existenz, und ich bin so reich daran gestorben.”
Sie wollte mit ihm sprechen; außerdem war ihr zum Schreien zumute.
Weil er nicht wirklich da sein konnte.
Sie hörte ihn flüstern. “Sei lieb, Mädchen. Sei immer freundlich zu deinen Mitmenschen, mir zuliebe.”
Sie bemerkte, dass die Trauerfeier fast vorbei war und sie plötzlich auch eine Rose in der Hand hielt. Sie machte nach, was die anderen taten, und warf sie auf den Sarg. Sie wandte sich ab und sah, dass eine Rose auf den Boden gefallen war. Sie hob sie auf und ging, ohne nachzudenken, hinüber zu der anderen Beisetzung, die auch gerade ihrem Ende zuging. Der Priester und das trauernde Paar waren bereits gegangen. Nur die Sargträger standen noch um das Grab, wollten gerade den Sarg hinablassen.
“Kennst du diesen Mann?”, fragte einer von ihnen, als sie näher kam.
“Nein.”
“Ja, dann …?”
Sie legte die Rose auf den Sarg. “Geh mit Gott”, murmelte sie.
“Christina!” Sie hörte, wie ihre Mutter nach ihr rief. Sie wandte sich ab von der traurigen Einsamkeit dieses Grabes, an dem nur so wenige Leute getrauert hatten, und lief zurück zu ihrer Familie.
Später erzählte sie Großmutter, dass sie Granpa gesehen hatte, weil sie glaubte, ihre Granma würde sich dann besser fühlen. Granma starrte sie an und sagte: “Ja, Liebes, ich habe ihn auch gespürt.”
Aber abends schien ihre Mutter, zu ihrer Überraschung, böse auf sie zu sein. “Christie, bitte hör auf zu sagen, du hättest deinen Großvater gesehen. Lass das. Es tut anderen Menschen weh, verstehst du das nicht?”
Sie verstand es nicht. “Ich habe niemandem wehgetan”, protestierte sie.
“Und dann bist du auch noch weggelaufen … Gott, war das furchtbar. Wenn man bedenkt, er wurde zur selben Zeit, am selben Tag beerdigt wie mein Vater.”
“Mom, wovon redest du eigentlich?”
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. “Tut mir leid, Christina. Ich liebe dich sehr, und ich weiß, du bist genauso traurig wie wir alle … aber du träumst vor dich hin. Du träumst nachts, und du hast Tagträume, wenn du wach bist. Du kannst Granpa nicht sehen. Und du musst aufhören zu behaupten, dass du es könntest!”
Ihre Mutter war durcheinander, natürlich; sie hatte gerade ihren Vater verloren. Das konnte Christie verstehen. Trotzdem, es war beinahe, als ob ihre Mutter … Angst hätte.
Wenn sie wirklich ihren Großvater sehen konnte, war das nicht eigentlich eine gute Sache?
Um ehrlich zu sein, sie wünschte, dass er wiederkommen würde, noch näher, dass er mit ihr reden, ihr alles erklären würde.
Für wen war das andere, frisch ausgehobene Grab gewesen?
Darauf hatte ihre Mutter nicht geantwortet, aber sie hörte die anderen Leute tuscheln. Jeder bestätigte, wie schrecklich es sei. Ein Mörder war frei herumgelaufen, aber zum Glück jetzt tot. Er war von der Polizei erschossen worden, obwohl er selbst die Polizei gewesen war, irgend so etwas. Es verwirrte sie, wie die Leute immer gleich verstummten, wenn sie näher kam. Sie war schließlich fast schon ein Teenager, groß für ihr Alter, sie entwickelte sogar schon Figur. Es war beleidigend, wie ein Kind behandelt zu werden. Dann wurde ihr klar, dass sie eine Blume auf den Sarg eines Mörders gelegt hatte. Das war verstörend. Aber sie hatte ihren Granpa gerade erst gesehen, und er hatte von Freundlichkeit gesprochen …
“Was ist da bloß los?”, fragte sie ihre Freundin Ana, die in derselben Straße wohnte und im selben Alter war. Ana war natürlich auch zur Beerdigung und hinterher zum Haus gekommen, zusammen mit ihren Eltern und ihrem Cousin Jedidiah, der schick aussah in seiner Militäruniform. Ein unmittelbarer Nachbar ihrer Großeltern war auch anwesend, Tony, schon achtzehn. Er und Jed unterhielten sich unter vier Augen, deshalb konnte sie mit Ana allein reden.
“Das wusstest du nicht?”, fragte Ana. “Sie haben diesen Kerl
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