Alexander der Große
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|7| Vorwort
Alexander veränderte die Welt, aber er tat das mit Tod und Zerstörung. Glanz und Elend seiner Person sind die beiden Seiten
einer Münze, und wie bei dieser sieht der Betrachter zunächst nur eine davon. Das polarisierte die Alexanderdarstellungen
bereits in der Antike und polarisiert sie noch heute; eine Vermittlung gibt es nicht, Alexander war stets Glaubenssache.
Alexanders wahres Gesicht hat niemand gesehen. Die Historiker haben es so wenig enthüllt wie die Archäologen. Schon die frühesten
Historiker flochten ein Gespinst von Legenden. Diese gebaren wieder Legenden, und irgendwann in der Spätantike hörte Alexander
auf, eine historische Person zu sein. Er wurde eine Romanfigur. Auf drei Erdteilen schrieben die unterschiedlichsten Völker
mit unterschiedlichsten Absichten an der Biographie Alexanders, und bis jetzt ist sie nicht abgeschlossen. So existieren von
Alexander dem Großen heute viele Bilder: Er ist Entdecker, Forscher, Eroberer, Kulturbringer, Städtegründer, Zerstörer, Segen
und Geißel der Menschheit. Nach Meinung der einen betrieb er die Aussöhnung des Westens mit dem Osten, öffnete Europa den
Zugang zu einer neuen Welt, nach Meinung der anderen vernichtete er planlos alte Kulturen und führte einen Eroberungskrieg
ohne sichtbares Ziel. All diese Vorstellungen sind bereits in den Quellen angelegt. Der Widerspruch in der Moderne beruht
auf den widerstreitenden Zeugnissen der Antike.
Die Legende von Alexander dem Großen begann bereits, als er im Frühjahr 334 v. Chr. zu seinem Zug gegen das Perserreich aufbrach. |8| Von Anfang an standen die Berichte über Alexander unter dem Primat politischer Interessen. Was zu Lebzeiten des Königs erschien,
steht ganz im Dienste eines ideologischen Programms, innerhalb dessen Alexander bereits in göttliche Sphären erhoben wurde.
Nach seinem Tode wurde er zum Zankapfel im Legitimationsstreit der Nachfolger, in Rom zum Medium von Feldherrnlob und Kaiserkritik,
und noch im 21. Jahrhundert wird versucht, mit Berufung auf ihn Landesgrenzen zu ziehen. Panegyrische wie alexanderfeindliche
Darstellungen wechselten sich ab und mündeten in dem sich stetig weiterentwickelnden Alexanderroman mit seinen märchenhaften
Zügen.
In der Biographie Alexanders ist die Grenze zwischen Geschichte und Legende verwischt. Das macht ihren Reiz aus und führt
gleichzeitig zu ganz konträren Einschätzungen. Anhand wichtiger Episoden aus dem Leben des Königs wie der Fahrt über den Hellespont,
dem Gordischen Knoten, den Schlachten von Issos und Gaugamela, dem Besuch des Ammonorakels in der Oase Siwah, der Indienfahrt,
der Begegnung mit den Amazonen, dem Tod des Königs in Babylon und anderem sucht dieses Buch, die Entstehung der verschiedenen
Legenden in ihren zeitlichen Schichten und Gründen nachzuvollziehen. Das führt zu dem Wenigen zurück, das über den historischen
Alexander bekannt ist, und kann erklären, warum so viele unterschiedliche Bilder Alexanders entstanden sind und bis heute
weiterleben. Ob das, was hinter der Legende steht, Geschichte oder nur eine andere Form der Legende ist, muss jedoch offenbleiben.
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|9| Die Überlieferung – Ein literarischer Kampf um Alexander
Wer die Geschichte Alexanders verstehen will, muss die Geschichte ihrer Quellen kennen. Sie reicht bis in die Zeit Philipps
II., als der Vater Alexanders griechische Historiker, Künstler und Wissenschaftler an seinem Hof in Pella versammelte. Als
Alexander zu seinem Ostfeldzug aufbrach, war er sich sicher, Taten zu vollbringen, die bei der Nachwelt nicht in Vergessenheit
geraten durften. In seinem Stab befand sich daher auch ein Mann, der sich durch seine Werke bereits als angesehener Historiker
ausgewiesen hatte, Kallisthenes aus Olynth, ein Neffe des Philosophen Aristoteles. Kallisthenes war mehr als ein Historiker,
er war Berater Alexanders und beeinflusste die Selbstdarstellung des Königs, bevor dieser nach der Eroberung der iranischen
Residenzstadt Persepolis ein neues Programm suchte. Bis etwa in das Jahr 330/329 v. Chr. reichte die verlorene Biographie
des Kallisthenes, deren Bücher einzeln nach Griechenland gesandt wurden, um dort Alexanders Taten –
Praxeis Alexandrou
lautete auch der Titel – schon im Augenblick ihrer Entstehung in hellstes Licht zu setzen. Die Wirkung dieser Schrift war
unermesslich. Es gab niemanden, der ähnlich vertraut war mit den Absichten und Plänen des Königs,
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