Die Seelenjägerin - 1
dennoch hatten sie sicherlich die üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen und so gelagert, dass zufällig vorbeikommende Reisende sie nicht bemerkten. Wahrscheinlich hatten sie für die Schlafenszeit auch eine Wache aufgestellt, und obwohl Andovan daran zweifelte, dass auch jetzt am Morgen noch jemand auf Posten stand, suchte er sorgfältig nach entsprechenden Hinweisen.
Endlich entdeckte er eine Stelle, die er selbst als Versteck gewählt hätte, eine etwa zehn Meter breite Lücke zwischen den Bäumen, wo das Sonnenlicht bis auf den Boden fiel und das Unterholz dichter wuchs. Dieses Dickicht war wie eine niedrige Wand, die alles verdeckte, was sich jenseits davon befand. Andovan kauerte sich hinter einen Baumstumpf, beobachtete das Lager und suchte nach Anzeichen für die Gegenwart von Menschen. Nach einer Weile glaubte er immer wieder Stimmen zu hören, keine Sprache, nur Laute, wie sie bei irgendwelchen Arbeiten ausgestoßen wurden. Auch der Rauch eines erlöschenden Feuers stieg ihm in die Nase, und der Geruch von Menschen. Nachdem er noch etwas länger gewartet hatte, ohne dass sich im Versteck etwas bewegte – man konnte davon ausgehen, dass solche Männer nicht die Beherrschung aufbrächten, um sich wie Soldaten auf Wache vollkommen still zu verhalten – schlich er vorsichtig weiter und achtete bei jedem Schritt darauf, dass kein welkes Blatt raschelte und kein Ästchen knackte und die Verfolgten womöglich warnte.
Endlich fand er einen Platz, wo er über die Pflanzenmauer hinwegschauen konnte. Hier hatten tatsächlich vier Mann gelagert; sein Pferd war nicht weit davon angebunden. Andere Tiere waren im Moment nicht zu sehen, aber mit seinem Gold konnten sich die Banditen im nächsten Dorf genügend Pferde kaufen; der Überfall hatte ihr Los beträchtlich verbessert. Sie entsprachen seinen Erwartungen, grobe Kerle mit verrußten Gesichtern, gekleidet in ein Sammelsurium aus gestohlenen Stücken, hier und dort glitzerte ein wertvolles Schmuckstück zwischen Hemd und Wams, vielleicht eine Trophäe.
Zwei waren gerade dabei, ihre Sachen einzupacken, während ein Dritter das Feuer austrat, auf dem sie eben noch ihre Speisen und Getränke gewärmt hatten. Andovan beobachtete sie genau und entschied, dass es sich wohl nicht um Berufsmörder handelte, sondern eher um Raufbolde, die die Erfahrung gemacht hatten, dass man zu viert bei guter Zusammenarbeit ohne große Planung auch den stärksten Gegner niederringen konnte. Das war günstig; solche Männer waren kaum für einen Überraschungsangriff gewappnet.
Ein kurzer, stechender Kopfschmerz erinnerte Andovan daran, wie geschwächt er war, aber die Jagd nahm ihn so völlig in Anspruch, dass er nicht darauf achtete. Vorsichtig legte er das mitgebrachte Seil ab, ohne dabei ein Geräusch zu machen, jedes Mal innehaltend, wenn der Lärm aus dem Lager zu weit abflaute. Doch die Diebe ahnten nichts. Sie scherzten jetzt über eine Frau in einem fernen Dorf, mit der sie sich alle vergnügt hatten. Offenbar war das der Grund, warum sie nicht unbedingt in der Gegend bleiben wollten. Andovan biss die Zähne zusammen, er kauerte sich noch tiefer ins Unterholz und wartete auf einen ganz bestimmten Moment, der zwangsläufig kommen würde, wenn sie eben gefrühstückt hatten.
Und bald war es so weit. Lachend machte der größte der Männer einen derben Witz über die geschlechtlichen Vorlieben der Frauen und verzog sich dann, eine Hand unter dem Hemd, um die Hosenbänder zu lösen, ins Dickicht. Andovan wusste, dass der Dieb für seine Verrichtung nicht lange brauchen würde. Er musste schnell handeln. Zum Glück hatte der Mann am Abend zuvor reichlich gegessen und konnte den Göttern des Waldes mehr opfern als nur seinen Harn. Andovan schlich sich wie eine Katze von hinten an und legte dem Kauernden den Arm um die Kehle, bevor der ihn überhaupt wahrnahm. Schneller und wirkungsvoller wäre es gewesen, ihm mit der Eisenstange den Schädel einzuschlagen, aber der Würgegriff machte weniger Lärm. Bevor der Dieb einen Laut herausbrachte, hatte ihm Andovan mit seinem muskulösen Unterarm die Luftröhre zusammengedrückt und ihn dabei rückwärts hochgehoben, damit er sich mit den Füßen nicht einstemmen konnte. Auf diese Weise hatte er einmal einen Berglöwen erwürgt, der ihn allerdings mit seinen Klauen böse zerkratzt hatte. Diesmal erwischte er wenigstens das Handgelenk seines Opfers und verhinderte so, dass der Mann nach irgendeiner Waffe griff.
Der Dieb war nicht völlig
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