Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
der Bank gearbeitet hatte, war der in ihrer Handtasche befestigte Blackberry ihre Verbindung zur Arbeitswelt gewesen. Er war das Erste, was sie morgens berührte, auch am Wochenende, noch bevor sie sich die Zähne putzte und duschte, und das Letzte, was sie abends überprüfte, bevor sie zu Bett ging.
Vor zwei Wochen jedoch hatte eine E-Mail im Blackberry Ellis aufgefordert, zu einem Treffen mit Phyllis K. Stone aus der Personalabteilung zu kommen. In der Firma war Ms Stone bekannt als die »Sensenfrau« oder auch »Stonehenge«. Zu Ellis war sie bei den seltenen Gelegenheiten, da sie miteinander zu tun gehabt hatten, tadellos freundlich gewesen. An jenem besonderen Tag hatte Ellis vermutet, sie würde ein neues Krankenversicherungspaket bekommen. Doch das Paket, das Ms Stone ihr schweigend über den Schreibtisch zuschob, hatte nichts mit Selbstbeteiligung oder Zuzahlungen zu tun. BancAtlantic, Ellis’ Arbeitgeber der vergangenen elf Jahre, sei von der CityGroup Inc. geschluckt, nein, »aufgekauft« worden, sei das richtige Wort, wie Ms Stone unverbindlich verkündete.
»Natürlich verfügt die CityGroup über eine eigene Abteilung für Marketing«, fuhr sie fort. »Und da momentan Kosteneinsparungen und maximale Produktivität sowie die finanzielle Stabilität der Anleger absolute Priorität haben, hat die Geschäftsführung die Marketingabteilung von BancAtlantic für überflüssig erklärt.«
Ellis war nicht sicher, richtig verstanden zu haben. »Überflüssig? Heißt das, ich wechsle rüber zur CityGroup?«
Ms Stone schob das Päckchen näher an Ellis heran. »Leider nicht.«
Ellis spürte, wie ihr Mund trocken wurde und ihre Hände zu schwitzen begannen. Sie mochte ihre Arbeit, mochte ihre Kollegen, den Lebensstil, den ihr das Einkommen ermöglichte, das Haus in einem feinen Viertel, die Geschäftsreisen mit dem großzügigen Spesenkonto und alle drei Jahre ein neues Auto. »Dann«, sagte sie mit leicht bebender Stimme, »wird mir eine andere Stellung innerhalb der Bank angeboten? Ich meine, es ist ja nicht so, dass ich immer nur Marketing gemacht hätte. Meinen Abschluss habe ich in Finanzwissenschaft, und bevor ich zu BancAtlantic kam …«
Ms Stone spitzte leicht die Lippen. Ihr fuchsiaroter Lippenstift hatte sich in den tiefen Falten ihrer Oberlippe verkrochen. Sie hatte einen Schnurrbart. Ellis fragte sich, warum Ms Stone den nicht entfernen oder wenigstens bleichen ließ.
Ms Stone klopfte wieder auf den Aktenordner. Darauf prangte ein Hochglanzfoto der Firmenzentrale von BancAtlantic in Chrom und Granit; quer darüber gedruckt waren die Worte Wandel für morgen .
Vor dem Bürofenster von Ms Stone im siebten Stock rumpelte es. Ellis schaute auf und sah eine Apparatur zum Fensterputzen langsam vorbeigleiten. Doch die Männer in dem Gefährt waren keine Fensterputzer. Sie trugen dunkle Overalls und plagten sich mit einem gewaltigen Logo aus Chrom herum, das aus zwei zweieinhalb Meter hohen Buchstaben bestand: CG.
Ellis kam der Gedanke, dass die neuen Inhaber der Bank mit ihrem Wandel nicht bis morgen warten wollen.
»Dies ist Ihr Abfindungspaket«, sagte Ms Stone sanft. »Sie werden sehen, es ist wirklich großzügig. Außerdem haben Sie natürlich noch Ihre Rente. Ihre Abfindung besteht aus zwei Wochen Gehalt für jedes Jahr, das Sie in dieser Einrichtung gearbeitet haben.«
»Einrichtung?«, wiederholte Ellis dumpf.
»BancAtlantic«, erinnerte Ms Stone sie. »Obwohl«, sagte sie mit einem Blick auf die Uhr an ihrem unnatürlich dünnen Handgelenk, »es die BancAtlantic seit drei Minuten nicht mehr gibt. Wir sind jetzt CityGroup. Aufregende Zeiten, nicht wahr?«
Ellis dachte, irgendwie hätte sie nicht das Adjektiv »aufregend« gewählt, um diesen Moment zu beschreiben. Sie beugte sich vor und griff endlich nach dem Aktenordner, den Ms Stone ihr zentimeterweise zugeschoben hatte. Sie blätterte durch den Inhalt. Er bestand aus Formularen und Mitteilungen, und allein der Anblick des Kleingedruckten brachte eine Ader in Ellis’ Stirn zum Pochen. Sie musste dringend zurück in ihr Büro, all diese Schriftstücke lesen und versuchen, sie zu verarbeiten.
Ellis erhob sich. »Wie lange noch?«, fragte sie. »Ich sitze gerade an einem großen Projekt, der Bericht müsste nächste Woche fertig sein.«
Ms Stone blinzelte. Ellis hätte schwören können, dass sie bei dieser Frau noch nie zuvor ein Blinzeln gesehen hatte. Niemals.
»Ach«, sagte Ms Stone. »Ich dachte, Sie hätten
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