Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
AUSHILFE GESUCHT
V erloren im Schatten der Regale, falle ich fast von der Leiter. Ich bin jetzt genau auf halber Höhe angelangt. Der Boden der Buchhandlung liegt tief unter mir, die Oberfläche eines Planeten, von dem ich mich weit entfernt habe. Die Regale türmen sich über mir auf, und dort, wo sie enden, ist es dunkel – die Bücher stehen dicht an dicht und lassen kein Licht hindurch. Gut möglich, dass dort auch die Luft dünner ist. Ich glaube, ich habe eine Fledermaus gesehen.
Verzweifelt klammere ich mich fest, eine Hand an der Leiter, die andere am Rand des Regalbretts, sodass meine Knöchel weiß hervortreten. Meine Augen schweifen über eine Reihe von Buchrücken – und da steht es. Das Buch, das ich suche.
Aber fangen wir lieber von vorn an.
Ich heiße Clay Jannon, und mit Papier kam ich damals selten in Berührung.
Die meiste Zeit saß ich am Küchentisch und ging auf meinem Laptop die »Aushilfe gesucht«-Anzeigen durch, nur blinkte irgendwann immer ein Browser-Tab auf, lenkte mich ab und verleitete mich dazu, einem Link zu einem langen Zeitschriftenartikel, etwa über genmanipulierte Weintrauben, zu folgen. Einem zu langen, wie ich fand, weshalb ich ihn meiner Leseliste hinzufügte. Dann klickte ich einen anderen Link an, der zu einer Buchrezension führte. Diese Rezension übertrug ich ebenfalls in meine Leseliste und lud mir das erste Kapitel des Buchs herunter – des dritten aus einer Serie über Vampir-Cops. Anschließend verzog ich mich – die »Aushilfe gesucht«-Anzeigen waren vergessen – ins Wohnzimmer, wo ich mit dem Laptop auf dem Bauch den ganzen Tag las. Ich hatte eine Menge Zeit.
Ich war arbeitslos, eine Folge der großen Lebensmittelketten-Rezession, die Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts über Amerika hereingebrochen war und bankrotte Fastfood-Ketten und verrammelte Sushi-Imperien hinterlassen hatte.
Ich hatte meinen Job im Firmensitz von NewBagel verloren, das sich weder in New York noch an sonst einem für seine Tradition der Bagelherstellung bekannten Ort befand, sondern hier in San Francisco. Das Unternehmen war sehr klein und sehr neu, gegründet von zwei Ex-Googlern, die eine Software zur Entwicklung und Herstellung des idealen Ba gels geschrieben hatten: außen glatt und knusprig, innen weich und nicht ganz durchgebacken, so rund wie ein perfekter Kreis. Es war mein erster Job nach der Kunstakademie, und ich fing als Designer an, entwickelte das Marketingmaterial, mit dem der leckere Kringel angepriesen und unter die Leute gebracht wurde: Speisekarten, Coupons, Diagramme, Werbeposter und einmal ein ganzes Photo-Booth-Video für eine Backwarenmesse.
Es gab eine Menge zu tun. Als Erstes bat mich einer der bei den Ex-Googler, mich an einem Neuentwurf des Firmenlogos zu versuchen. Das alte bestand aus einem blassbraunen Kreis, der große fröhliche Buchstaben in allen Regenbogenfarben umschloss und nach MS Paint aussah. Für die Umgestaltung nahm ich eine relativ neue Schrift mit kräftigen schwarzen Serifen, die, wie ich hoffte, ein bisschen an die Kästchen und Dolche des hebräischen Alphabets erinnerte. Es verlieh NewBagel etwas Seriosität und brachte mir einen Preis der Zweigstelle San Francisco vom American Institute of Graphic Arts ein. Als ich dann der anderen Ex-Googlerin gegenüber er wähnte, dass ich programmieren konnte (so lala), übertrug sie mir die Verantwortung für die Website. Also entwarf ich auch dafür ein neues Design und bekam dann einen kleinen Werbeetat, der mir erlaubte, Begriffe wie »Bagel«, »Frühstück« und »Topologie« zu verschlagworten. Ich war außerdem die Stimme von @NewBagel auf Twitter und konnte mit einer Mischung aus Informationshäppchen rund ums Frühstück und digitalen Coupons ein paar Hundert Interessenten anlocken.
Nichts davon könnte man als ruhmreiche neue Errungenschaft der menschlichen Evolution bezeichnen, aber ich habe etwas dabei gelernt. Es ging aufwärts mit mir. Doch dann ging es mit der Wirtschaft bergab, und wie sich herausstellte, bevorzugen die Leute in einer Rezession die guten alten blasigen und länglichen Bagels und interessieren sich nicht für die glatten, Ufo-mäßigen Bagels, nicht einmal für solche mit präzisionsgerebelten Salzkörnern.
Die erfolgsverwöhnten Ex-Googler hatten nicht vor, kampflos unterzugehen. Sie verpassten sich schnell ein neues Image, benannten sich um in Old Jerusalem Bagel Company und verzichteten komplett auf den Algorithmus, sodass die Bagels schwarz
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