Die Spur der Hebamme
mit einem Griff ihrer schmalen Hand klar, dass sie nicht länger warten wollte. Er war fast zwei Wochen weg gewesen. Eine endlose Zeit.
»Bei Gott, der ganze Haushalt wird verhungern, wenn wir nicht endlich hinuntergehen. Und wenn ich jetzt nicht aufstehe, schlafe ich ein und wache erst in zwei Tagen wieder auf«, meinte er später.
Marthe lächelte. »Du bist der Herr des Hauses. Wir können auch hierbleiben und die anderen allein essen lassen«, schlug sie vor.
Doch er lehnte ab, sosehr ihm der Vorschlag gefiel. Es war zur Gepflogenheit geworden, dass sie an den Abenden seiner Heimkehrvon Reisen in großer Runde gemeinsam mit dem ganzen Haushalt in der Halle aßen und er sich erzählen ließ, was während seiner Abwesenheit im Dorf passiert war.
»Du hast doch die Köchin bestimmt gedrängt, etwas Besonderes aufzutischen. Dann wollen wir sie nicht enttäuschen.«
Jetzt, während der Fastenzeit und da beinahe alle Vorräte aufgebraucht waren, war es schwierig, ein gutes Mahl zu kochen. Mit mehr als fleischloser Suppe oder gesalzenem Fisch würde er wohl nicht rechnen dürfen.
Bevor sie nach unten gingen, sahen sie nach den Kindern, die nebenan ruhig schliefen. »Sie sind wunderbar«, flüsterte er und zog Marthe noch einmal an sich.
»Ja, das sind sie«, gab sie leise zurück. »Willkommen zu Hause.«
Neuigkeiten
Gemeinsam gingen Christian und Marthe in die Halle, wo die Mägde bereits damit beschäftigt waren, Tische und Bänke aufzustellen. Marthes Stieftöchter halfen ihnen dabei.
»Bist du wohlauf, Johanna?«, begrüßte er die Ältere von beiden, die er seit seiner Ankunft noch nicht gesehen hatte. Bestimmt war sie mit Marthe bei den verletzten Bergleuten gewesen.
»Ja, mein Herr«, sagte sie schüchtern, knickste tief und strich eine blonde Haarsträhne zurück, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. »Obwohl jetzt viel zu tun ist. Das Winterfieber … und dann noch das Grubenunglück. Zwei Männer sind verletzt. Aber sie werden bald wieder arbeiten können.«
»Ich bin sicher, du hast dein Bestes getan«, sagte er freundlich zu ihr.
Die Zwölfjährige hatte sich früh für Marthes Arbeit zu interessieren begonnen und inzwischen beachtliche Kenntnisse im Umgang mit Kräutern erworben.
Nach seiner Hochzeit mit Marthe hatte er auch ihre Stieftöchter zu sich ins Haus genommen. Es waren zwei liebe, fleißige Mädchen, hübsch und mit blonden Locken, die ihm nach wie vor mit Scheu begegneten. Die Vorstellung, an Stelle eines einfachen, ergrauten Bauern nun einen Ritter als Hausvater zu haben, war ihnen immer noch fremd. Zumal die Dorfbewohner den als streng, aber gerecht geltenden Christian selten lächeln sahen. Nur in der Zweisamkeit mit Marthe oder bei seinen Freunden zeigte er sich von dieser anderen Seite.
Im Gegensatz zu ihrer meist fröhlichen jüngeren Schwester Marie war Johanna oft ernst und in sich gekehrt. Aber schon mit acht Jahren hatte sie großen Mut bewiesen, um gemeinsam mit Marthe ihren älteren Bruder Karl und den Dorfschmied Jonas vor dem Tod zu retten. Randolf hatte damals über die beiden jungen Männer, die zu Christians treuesten Verbündeten zählten, ein grausames Willkürurteil verhängt. Mit Johannas Unterstützung hatte sich Marthe unter Lebensgefahr nachts zu ihnen geschlichen, um ihnen zu helfen. Wäre Christian nicht im letzten Moment mit gezogenem Schwert aufgetaucht, hätte auch Marthe und die kleine Johanna eine blutige Strafe getroffen.
»Lauf zu Pater Bartholomäus, zum Bergmeister und zu Jonas und seiner Frau, um sie zum Essen einzuladen«, bat Christian Johanna. »Und bring auch deinen Bruder mit.«
Karl, ihr großer Bruder, arbeitete in der Schmiede bei Jonas und wohnte in der Kate, die seinem Vater gehört hatte.
Das Mädchen nickte, holte ihren Umhang und lief los, während die blonden Locken hinter ihr herflatterten.
Wenig später saßen alle gemeinsam am Tisch und ließen es sich schmecken. Neben Christian hatten die Ehrengäste Platz genommen: der Pater, der Bergmeister und der Dorfschulze. Pater Bartholomäus war ein zumeist freundlicher Mann mit weißem Haarkranz, der die Priesterweihen empfangen und vor sechs Jahren sein Kloster verlassen hatte, um mit den Siedlern in den Dunklen Wald zu ziehen und für ihr Seelenheil zu sorgen. In die Zuständigkeit von Bergmeister Hermann gehörte alles, was mit den Gruben und Schmelzhütten zu tun hatte. Jonas, den Dorfschmied mit der hübschen Frau, der rotblonden Emma, hatten die Bewohner von
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