Die Spur der Kinder
ganze Zeit über zu sagen versucht hatte, begriff Fiona: Sophie war niemals entführt worden. Was sich auf diesen Bildern abspielte, geschah an dem Tag, an dem Adrian offiziell mit Sophie auf dem Spielplatz gewesen sein wollte.
Adrian muss unmittelbar nach dem Unglück zum Spielplatz gefahren sein, dachte Fiona und sah ihn buchstäblich vor sich auf der Parkbank sitzen. Schweiß perlte auf seiner Stirn, er blätterte eine Weile scheinheilig in einer Zeitung, bevor er sich nach Sophie umsah, sie aber nirgendwo fand. Natürlich nicht, zu jenem Zeitpunkt war Sophie längst tot. Mit gespieltem Entsetzen erkundigte er sich bei sämtlichen Eltern, bevor er aufgebracht nach Sophie zu suchen begann und jenes Schauspiel zum Bestengab, das er später bei der Polizei wiederholen würde.
Die perfekte Inszenierung – bis hin zu der weißen Lilie, von der er aus der Presse erfahren und Fiona hatte zustellen lassen.
Mit einem Mal ergab alles einen Sinn: die Widersprüche, in die sich Adrian bei seinen Aussagen zu Sophies Verschwinden immer wieder verstrickt hatte. Theresas Erpressung. Ihr Tod. Und auch die Tatsache, dass Sophie nicht in Brauns Garten gefunden worden war.
»Du Schwein! Du mieses Schwein!«, schrie Fiona. Sie erbrach sich einige Male auf den Boden. Nichts wünschte sie sich augenblicklich sehnlicher, als Adrian und Theresa eigenhändig zu erwürgen, wären sie nicht ohnehin längst tot.
Mit einem Stechen in der Brust sank Fiona zurück aufs Bett und dachte an all die Monate, in denen sie vergeblich auf ein Lebenszeichen von ihrer kleinen Sophie gehofft hatte. An die qualvolle Ungewissheit, die sie beinahe um den Verstand gebracht hatte.
Und wozu das alles? Etwa nur, damit Adrians Affäre mit Theresa niemals ans Licht käme? Damit er weder mich noch das Restaurant verlieren würde, das ihm nicht einmal gehörte? Und den Wagen, das Geld, seinen ganzen verfluchten Lebensstil – war es ihm das etwa tatsächlich wert gewesen?
Tränen rannen über Fionas Wangen, als die Tür erneutaufging und sie eine Schwester fragen hörte: »Frau Seeberg, Sie haben gerufen?«
»Ja … ist … ist schon gut«, flüsterte Fiona kaum hörbar. »Ich … ich möchte jetzt allein sein, bitte.«
Mittwoch,8. Juli
(Am Nachmittag)
Laut Wetterbericht sollten es die vorerst letzten heißen Sommertage in Berlin sein. Fiona saß an einem Steg abseits der Promenade des Yachthafens, neben ihr das Goldfischglas, das sie mitgebracht hatte. Sie umfasste es mit beiden Händen und goss Sophies Fische ins Wasser. Blitzschnell entschwanden die Fische in den Tiefen des Wannsees.
Spurlos bis in alle Ewigkeit . Gedankenverloren starrte Fiona auf das Wasser, als jemand einen langen Schatten neben sie warf.
Piet Karstens. Er ging auf Krücken und trug ein breites Nasenpflaster. »Ich hatte gehofft, dich hier zu finden … störe ich etwa?«, fragte er mit einem Blick auf das leere Goldfischglas.
»Nein, nein, das tust du nicht«, meinte Fiona und bedachte ihn mit einem milden Lächeln. »Ganz im Gegenteil.« Zögerlich sah sie auf seine Krücken. »Sehr schlimm?«
Karstensstieß ein makaberes Lachen aus. »Du meinst, abgesehen davon, dass ich mich fühle, als wäre eine Dampfwalze über meine Knochen gefahren?«
Fiona nickte und bemühte sich erneut um ein Lächeln.
Piet Karstens räusperte sich. »Ich habe da übrigens jemanden mitgebracht, der sich sehr über deine Gesellschaft freuen würde.«
Fiona wollte gerade etwas entgegensetzen, als sich Karstens einen Schritt zur Seite bewegte.
Abgemagert und mit einem Verband um Hals und Hände, stand die kleine Luna García in einem roten Trägerkleidchen vor ihr.
»Mein Gott, du lebst! Du hast es geschafft, Luna!«, lachte Fiona und sprang auf. Ihre Stimme überschlug sich vor Freude, als sie das Gesicht des Mädchens mit beiden Händen umfasste und das Kind überglücklich in die Arme schloss.
Piet Karstens grinste Fiona verstohlen an. »Wie es aussieht, kommt Luna vorerst in ein Kinderheim.«
Erschrocken sah Fiona auf. »In ein Heim? Kommt überhaupt nicht in Frage!« Sie drückte Luna beschützend an sich.
»Ich hatte gehofft, du würdest das sagen«, grinste Karstens erleichtert. »Ich hab schon einen Koffer mit Lunas Sachen im Wagen.«
Fiona sah ihn überrascht an. Dann lächelte sie. Karstens’Grinsen wurde breiter. »Da ich noch immer suspendiert bin, dachte ich … falls du mal jemanden brauchst, der vorbeikommt und aufpasst, während du am Schreiben bist …«
»Auf Luna
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